Das Reich der Sieben Städte
auseinander und wickelte sie wieder in ölgetränktes Leinen. Als er an seinen Platz mittschiffs zurückkehrte, kroch Moby wieder auf seinen Schoß. Seufzend kraulte er das kleine Wesen hinter dem Ohr. »Und, was meinst du, Kalam?«
»Ich bin mir nicht sicher«, gab der Assassine zu. »Was hat einen Wechselgänger hierher in die Kansu-See geführt? Und warum wollte er seine Reise geheim halten?«
»Wenn der Schnelle Ben hier wäre ...«
»Aber er ist nicht hier, Fiedler. Wir werden mit diesem Geheimnis leben müssen, und mit etwas Glück wird es das einzige bleiben.«
»Glaubst du, es hat irgendetwas damit zu tun, dass ...«
Kalam machte ein finsteres Gesicht. »Nein.«
»Womit?«, sagte Crokus forschend. »Über was redet ihr beide da eigentlich überhaupt?«
»Wir hängen nur unseren Gedanken nach«, meinte Fiedler. »Der Wechselgänger war in Richtung Süden unterwegs, genau wie wir.«
»Also?«
Fiedler zuckte die Schultern. »Also ... nichts. Es war nur eine Feststellung.« Er spuckte über die Bordwand und sackte in sich zusammen. »Bei all der Aufregung habe ich meine Seekrankheit ganz vergessen. Jetzt geht's mir aber schon wieder schlecht, verdammt!«
Wieder schwiegen alle, doch die tiefen Falten auf Crokus' Stirn ließen in dem Sappeur die Gewissheit aufsteigen, dass der Junge die Sache nicht lange auf sich beruhen lassen würde.
Die Brise blieb kräftig und trug sie schnell gen Süden. Noch nicht einmal drei Stunden nach der Begegnung mit dem Wechselgänger verkündete Apsalar, dass sie Land sehen könne, und noch einmal vierzig Minuten später steuerte Kalam das Boot auf einen Kurs, der es eineinhalb Meilen vom Ufer entfernt parallel zur Küstenlinie von Ehrlitan dahingleiten ließ. Sie wandten sich westwärts, folgten der von Zedern bestandenen Küste, während der Tag sich seinem Ende zuzuneigen begann.
»Ich glaube, da drüben sind Reiter«, sagte Apsalar.
Fiedler hob den Kopf und musterte genau wie seine Gefährten eine Gruppe Berittener auf einem Küstenpfad, der sich den Grat entlangzog.
»Es müssten insgesamt sechs sein«, sagte Kalam. »Der Zweite ...«
»... trägt 'nen Wimpel des Imperiums«, beendete Fiedler den Satz. Er verzog das Gesicht, als hätte er einen schlechten Geschmack im Mund. »Boten und Lanzengarde ...«
»Auf dem Weg nach Ehrlitan«, fügte Kalam hinzu.
Fiedler drehte sich um und schaute in die dunklen Augen des Korporals. Bedeutet das Ärger? Vielleicht.
Ein stummer Gedankenaustausch, das Ergebnis vieler gemeinsamer Jahre, vieler Kämpfe Seite an Seite.
»Stimmt irgendwas nicht, Kalam? Fiedler?«, fragte Crokus.
Der Junge ist scharfsinnig. »Schwer zu sagen«, murmelte Fiedler. »Sie haben uns gesehen – aber was haben sie gesehen? Vier Fischer in einem Boot, eine Skrae-Familie, die unterwegs zum Hafen ist, um mal wieder ein bisschen Zivilisation zu schmecken.«
»Direkt südlich der Baumlinie befindet sich ein Dorf«, sagte Kalam. »Halte nach der Mündung eines kleinen Flusslaufs Ausschau, Crokus, und nach einem Strand ohne Treibholz. Die Häuser werden sich auf der Leeseite des Grats verbergen, das heißt dem Inland zu. Nun, wie ist mein Gedächtnis, Fiedler?«
»Ganz gut für einen Einheimischen, denn das bist du schließlich. Wie weit ist dieses Dorf von der Stadt entfernt?«
»Zehn Stunden zu Fuß.«
»So nah?«
»So nah.«
Fiedler verstummte. Der imperiale Bote und seine berittene Eskorte waren außer Sicht; sie hatten den Grat verlassen, als sie nach Süden, in Richtung Ehrlitan, abgebogen waren. Der Plan war eigentlich gewesen, mitten in den alten, überfüllten Hafen der Heiligen Stadt hineinzusegeln. Es war höchst wahrscheinlich, dass der Bote Nachrichten brachte, die nicht das Geringste mit ihnen zu tun hatten. Sie hatten sich nicht verraten, seit sie an Bord eines Handelsschiffs der Blauen Moranth im imperialen Hafen von Karakarang angekommen waren; bei der Überfahrt von Genabackis aus hatten sie sich als Mitglieder der Mannschaft verdingt. Die Reise über Land, von Karakarang aus durch die Talgai-Berge und hinunter nach Rutu Jelba, war der Straße gefolgt, die die Tanno-Pilger benutzten, und das war nun wirklich eine ganz gewöhnliche Reiseroute. Und in Rutu Jelba hatten sie sich die ganze Woche, die sie dort verbracht hatten, unauffällig verhalten und sich versteckt; nur Kalam hatte ein paar nächtliche Ausflüge zum Hafendistrikt unternommen, um sich nach einer Passage über die Otataral-See zum Kernland hinüber umzusehen.
Im
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