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Das Reich in der Tiefe

Das Reich in der Tiefe

Titel: Das Reich in der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Koch
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Eine Menge von Booten glitt über das Wasser. Die Insassen winkten einander zu.
    „Haben sie denn keine Arbeit, keinen Beruf?“ fragte Klaus.
    „Gewiß, jeder hat seinen Beruf, jedermann arbeitet für sich und die Allgemeinheit, aber nur soviel, wie ihm Freude macht, es darf niemals in einen Zwang ausarten. Wichtiger als Arbeit und Beruf ist die harmonische Ausbildung der Persönlichkeit.“
    Erichsen sann noch lange über diese Antwort nach. Hatte er richtig verstanden? Wenn ja, dann ernährte also dieses glückliche Land mit dem gleichmäßig milden Klima seine Bewohner ausreichend, auch ohne Zwang zu täglicher schwerer Arbeit.
    Unterdessen schwebten die Fahrzeuge über den Wipfeln eines Waldes, der nicht durchforstet war. Die häufigste Baumart bildete ein unbekanntes Nadelholz, das zu drei- bis vierfacher Mannshöhe heranwuchs.
    Das eintönige Rütteln ermüdete, Klaus schlief ein.
    Als er aufwachte, schwebten sie von einem niederen Berg in eine weite ebene Parklandschaft mit einem See hinab, und aus diesem entzückenden landschaftlichen Untergrund wuchs eine große Stadt empor, die Hauptstadt Atakor. Im roten Licht des lohenden Himmels, umgeben von dunklem Grün und hellrotem Wasser, bot sie einen märchenhaften Anblick. Dann endete die Schwebebahn auf einem großen Platz, in den noch weitere Bahnstrecken aus anderen Richtungen einmündeten.
    Hier verabschiedete sich die Polizistengruppe, welche sie auf der ganzen Fahrt vom Apaxiberg her bewacht hatte. Der Weg wurde zu Fuß fortgesetzt, das geringe Gepäck trug man selbst. Nur durch wenige Straßen gingen sie.
    Dann bogen sie in einen gepflegten Garten ein und betraten das Haus des Arztes. Eine zierliche Dame begrüßte diesen stürmisch und vergoß Tränen des Glücks. Rocco war hier bekannt, und Klaus wurde vorgestellt. Sie gingen durch Räume mit schönen Teppichen, Schnitzereien, Gefäßen von nie gesehener Schönheit.
    Rocco holte Blechtafel und Schreibstift von einem Regal, drückte beides Klaus in die Hand und verlangte: „Zeichne noch einmal auf, was du die Erde nennst!“ Klaus bedeckte die Tafel mit einem Abbild des Erdglobus und verteilte Licht und Schatten auf Meere und Erdteile, gab auch Erläuterungen, soweit es sein Wortschatz zuließ. Rocco und der Arzt nahmen die Tafel und betrachteten sie lange, warfen zwischendurch einen Blick auf den Zeichner, redeten hastig in ihrer Sprache und löschten dann die Skizze sorgsam wieder aus.
    „Wohin bringt ihr mich, und werdet ihr bei mir bleiben?“ erkundigte sich Klaus.
    „An den Hof des Königs. Es ist jetzt Zeit, zu gehen!“
    Sie verabschiedeten sich von der Dame des Hauses. Rocco hielt Klaus im Garten für einen Moment zurück und sagte halblaut: „Bei Hofe wird man dich viel fragen, antworte lieber nicht, ehe du unsere Sprache besser verstehst. Sei gescheit und erzähle nichts über die Dinge, die du uns eben aufgemalt hast. Das ist politisch bei uns ein sehr heißes Eisen!“
    Der weitere Weg führte über eine kunstvolle Flußbrücke auf den ausgedehnten Zentralplatz der Stadt, in dessen Mitte sich der Königspalast erhob, ein wuchtiges türmegeschmücktes Gebäude aus rotem Stein. Mühselig erstieg Erichsen mit Hilfe seiner Begleiter viele Stufen, durchquerte eine Vorhalle, deren Wände in farbigem Stuck leuchteten, schritt durch Säle aus poliertem Marmor, in denen es silberne Spiegel und vollendete Vasen gab, zahlreiche Plastiken und Gemälde einer ausdrucksstarken Kunst, die auch auf der Erdoberfläche hohen Wert gehabt hätten. Klaus war sichtlich von dieser Umgebung eingeschüchtert.
    Rocco merkte es, klopfte ihm auf die Schulter und redete ihm zu: „Nur Mut, wir helfen dir. Aber sei vorsichtig!“
     
    *                     *
    *
     
    Hoch und kühl war der Raum. An der einen Schmalseite standen die Sessel, in denen die 21 Mitglieder des Hohen Rates Platz genommen hatten, an der anderen warteten Rocco und der Arzt mit Erichsen auf das Erscheinen des Königs. Alles erhob sich und verharrte in tiefer Verbeugung, sobald der Herr des Landes durch eine Tür an der Längsseite eintrat. Ayar Capac, Herr der Welt, Herrscher über ein glückliches Volk, ein Mann mit göttlichen Urahnen, Angehöriger einer tausendjährigen Dynastie, war schon alt. Er sah sich in der Runde um, hieß durch einen Wink alle Platz nehmen und ließ sich selbst nieder.
    Rocco trat nun vor und begann zu sprechen, viel zu schnell, als daß Klaus auch nur einen einzigen Satz hätte verstehen können.

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