Das Reich in der Tiefe
der kurzen Zeit machen konnten. Von der Apaxistation aus erstattete ich Meldung und erhielt lichttelegraphisch Befehl, den mitgebrachten Fremden zu isolieren und hierherzubringen, sobald er transportfähig sein würde. So ist es geschehen!“
Rocco hatte geendet. Stille herrschte. Alle Augen richteten sich auf den König, der dem neben ihm sitzenden obersten Priester ein Zeichen gab.
Sarasola, Priester der Erdmutter, durchquerte den Raum mit gemessenen Schritten, trat dicht an Klaus heran und nahm ihn in Augenschein. Klaus spürte schon bei dieser ersten Begegnung einen unerklärlichen Widerwillen gegen den mächtigen Hohenpriester, der nun ein paar Schritte zu einem Tisch in der Saalmitte ging, auf den er sich mit beiden Händen stützte, um sich Rocco zuzuwenden:
„Welchen Eindruck haben Sie von diesem Fremden, und welche Aussagen hat er gemacht?“
„Man kann noch nichts Gewisses daraus entnehmen“, antwortete Rocco. „Der Mann ist an sich sehr intelligent, hat sich aber durch den Sturz eine Gehirnerschütterung zugezogen, durch die sein Verstand partielle Störungen erlitt. Er lernt unsere Sprache schnell, andererseits erzählt er ganz unmögliche wirre Geschichten.“
„Was redet er denn?“ bohrte der Höchste Priester.
„Daß die obere Höhle, die er die Erde nennt, von Milliarden Menschen bevölkert, daß sie die eigentliche Welt sei, wir nur eine Luftblase im Körper der kugelförmigen Erde. Ich beantrage, Eure Majestät und der Hohe Rat möge beschließen, daß der junge Mann so lange isoliert wird, bis er unsere Sprache erlernt hat. Der Hohe Rat möge ihn dann selbst über die Lebensweise seines Stammes vernehmen. Ferner schlage ich vor, die Erforschung der oberen Höhle baldmöglichst fortzusetzen, damit deren Rätsel geklärt werden.“
Während der anschließenden Diskussion führte man Klaus hinweg in seine neue Unterkunft.
* *
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Wenn Klaus Erichsen die Fensterläden seines Zimmers öffnete, hatte er den Blick über das von Prachtstraßen durchschnittene Häusermeer der Großstadt, aus dem Türme, Tempel und Stufenpyramiden emporstiegen.
Länger als ein Vierteljahr bewohnte er jetzt die beiden kleinen Räume als Gefangener. Sein luftiges Verlies lag in einem der vier Schmucktürme, die das flache Dach des Palastes überragten. Er durfte es nicht verlassen. Im übrigen konnte er sich über Verpflegung und Fürsorge nicht beklagen, eine alte Frau brachte ihm regelmäßig das Essen und säuberte das Zimmer. Täglich unterrichtete ihn Professor Simad in Sprache, Geschichte und Religion des Landes. Rocco jedoch war seit der Sitzung beim König nicht mehr zu ihm gekommen. Manchmal sah noch der Arzt der Expedition nach ihm, doch stets nur im Beisein von Professor Simad.
Der Unterricht begann stets damit, daß Klaus den Stoff der letzten Stunden laut in der Chetisprache wiederholte. So lernte er die Geschichte des Landes kennen und hörte, daß der König die Herrschergewalt mit dem Höchsten Priester und dem Hohen Rat teilte.
„Wie setzt sich der hohe Rat zusammen?“ erkundigte sich Klaus.
„Er hat 21 Mitglieder, je sieben aus den drei obersten Kasten und steht immer unter der Leitung des Höchsten Priesters, das ist heute Sarasola, Priester der Erdmutter. Dieser hält Zwiesprache mit den Göttern, in seiner Hand liegt die Verantwortung dafür, daß die großen Geheimnisse sicher gewahrt bleiben.“
„Wozu braucht man denn Kasten?“ fragte Erichsen erstaunt.
„Wozu? Wenn es nicht so wäre, würde niemand Hirte oder Bergarbeiter sein wollen! Alle möchten dann an der Spitze des Staates stehen. Die Kasten sind erblich, nur in ganz besonderen Ausnahmefällen werden Überschreitungen ihrer Grenzen zugelassen. Die oberste Kaste besteht aus dem Adel. Die zweite aus der Priesterschaft. Die dritte, die Amautas, das sind die Hüter der Großen Geheimnisse. Die vierte umfaßt alle bürgerlichen Berufe. Die fünfte Kaste sind Handwerker und Händler, die sechste Bauern, Hirten und Bergarbeiter.
Das ist die von den Göttern eingesetzte Ordnung, durch die wir in Eintracht und Harmonie leben, in Friede, Freiheit und Glück!“
Am nächsten Tag fragte Erichsen nach der Sprachlektion mit einem Anflug von Ironie: „Sie sprachen beim letztenmal von Erfindungen, die in der großen Zeit des Reiches gemacht wurden. Ist überliefert, welcher Art diese Erfindungen waren?“
„Man redet von feurigen Lanzen, mit denen Menschen auf Entfernung getötet
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