Das Reich in der Tiefe
Was hier verhandelt wurde, erfuhr er erst viel später. Rocco gab einen Rechenschaftsbericht über seine Expedition und streifte auch deren Vorgeschichte. Weil gewisse Metallerze immer knapper wurden, hatten König und Hoher Rat des Reiches den Befehl gegeben, die Nachbarschaft der Chetihöhle nach anderen Hohlräumen zu durchforschen. Schon 30 Jahre dauerten diese Versuche. Professor Yahuar, ein kürzlich verstorbenes Ratsmitglied, arbeitete damals eine Methode aus, durch kleine Sprengungen und Registrierung ihrer von Hindernissen und Hohlräumen zurückgeworfenen Erschütterungswellen den Boden und die Wände der Großhöhle zu untersuchen. Jahrzehntelang blieb der Erfolg aus, dann ergab sich vor einem Jahr gleich ein doppeltes Ergebnis. – Einmal an der Höhlenwand, welche Cheti im Norden begrenzt. Die Geräte zeigten dort in mittlerer Berghöhe einen großen jenseitigen Hohlraum an. Die trennende Gesteinswand war an manchen Stellen nur kilometerdick.
Zur gleichen Zeit traten auch Roccos Unternehmungen in ein entscheidendes Stadium. Er hatte den Gedanken, mittels eines Luftballons die Höhlendecke über dem Apaxiberg zu untersuchen, rüstete kleine Expeditionen aus und drang tief in den umgekehrten Trichter ein, der dort durch vorgeschichtlichen Absturz riesiger Gesteins- und Lavamassen entstanden war. Mit wenigen wagemutigen Kameraden verfolgte er einen schräg aufwärts führenden Lavagang, ermittelte mit seinen Instrumenten verborgene Höhlengänge und schlug mit Hacken und Picken Durchschlüpfe zu ihnen frei, denn es war ihm streng verboten, in diesem heiklen Gebiet zu sprengen.
„Drei Jahre“, so berichtete Rocco, „habe ich gebraucht, um in der höhlenreichen Zone den Weg nach oben zu verfolgen. In diesen Jahren schoben wir Depots von Lebensmitteln und Sauerstoff immer weiter vor. Wir entdeckten die Höhle mit dem Wasserfall und stellten fest, daß es von da aus nicht mehr weit zu einem riesigen unbekannten Hohlraum sein konnte. Damals brach ich meine Unternehmung ab und trat den Rückweg an, auf dem ich leider zwei meiner Männer durch Steinschlag verlor. Vor acht Wochen stand ich an dieser Stelle vor Eurer Majestät und Euren Exzellenzen, und Sie entschieden, daß meine Unternehmung vor dem Projekt Nordwand durchzuführen sei.
Ohne weiteren Zwischenfall erreichte ich mit meinen Kameraden die Wasserfallhöhe und setzte zum letzten Vorstoß an. Wir mußten unter Sauerstoffmasken arbeiten. Heute vor 33 Tagen kam der bedeutsame Augenblick, in dem wir auf dem Boden der großen kalten Nachbarhöhle mit dem befremdend niedrigen Luftdruck standen. Zwei Tage brachten wir dort zu, dann mußten wir umkehren, sonst hätten unsere Sauerstoffvorräte nicht ausgereicht. Die Höhlendecke war ständig durch schwere Wolken verhängt, es blies ein rauher, eisiger Wind, manchmal von unerhörter Stärke, es regnete ohne daß ein Gewitter aufzog. Die auffallendste, uns ganz unerklärliche Erscheinung aber war, daß sich die Höhlendecke in regelmäßigem Wechsel bis zu völliger Finsternis verdunkelte. Dieser Zustand trat nicht plötzlich ein, sondern in allmählichem Übergang, und dauerte etwa acht Stunden. Von einer Anhöhe aus sahen wir ein unabsehbares leeres Wasser, bleigrau und bewegt, konnten es jedoch nicht näher erforschen. In einigen Vertiefungen des Berglands fand ich erstarrtes Wasser, eine besondere Merkwürdigkeit. Von der Pflanzen- und Kleintierwelt haben wir Proben mitgebracht, sie weichen stark von der unseren ab.
Unseren Gesamteindruck glaubte ich am zweiten Tag dahin zusammenfassen zu können, daß die kalte Nachbarhöhle, deren Ausdehnung mindestens der des Reiches Cheti gleichkommt, zum größten Teil mit Wasser bedeckt und für menschliche Lebewesen unbewohnbar ist. Daher war es eine außerordentliche Überraschung, als ich persönlich den Eingeborenen fand, der hier vor Ihnen sitzt. Bis auf den wenig anderen Gesichtsschnitt und das dunklere Haar ist er uns anatomisch vollkommen gleich. Vermutlich lebte er als Fischer an der öden Küste, als Angehöriger eines kleinen Stammes, der sich in dieser trostlosen Umwelt unter so ungünstigen Bedingungen erhalten hat. Offenbar befand sich der Mann im Gebirge auf Nahrungssuche, da stürzte er von einem glatten Felsen ab und verletzte sich so schwer, daß er bewegungsunfähig wurde. Wir nahmen ihn mit, trugen ihn mit letzter Kraft den weiten Weg zum Ballon, in der Überzeugung, daß seine Aussagen wichtiger sein würden, als die Erkundungen, welche wir in
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