Das Reich in der Tiefe
hatte nicht gewußt, daß er so handeln könnte und würde. Vorher verlief sein Leben 27 Jahre lang in geglätteten Bahnen. Vater war ein rheinischer Industrieller, und Klaus der dritte Sohn, Mutter lebte nicht mehr. Maschinenbau hatte er studiert, dann sein Jahr bei der Pioniertruppe abgedient und noch anderthalb Jahre zugegeben, weil es ihm gut gefiel – zuletzt als Leutnant. Dann kam der Tag, an dem ihm der Teufel ein Bein stellte.
Mario, seine Braut in München, war zum Schilaufen ins Gebirge gefahren. Ursprünglich wollte Klaus mit ihr reisen, mußte aber absagen, weil man ihm keinen Urlaub gab. Dann konnte er plötzlich doch auf drei Tage abkommen und fuhr mit seinem Wagen zu ihr. Hatte sich ausgemalt, wie wunderbar es sein würde, wenn er plötzlich in der Tür stände und sie überraschte.
Nun, er überraschte sie wirklich. Er konnte im Berghotel am frühen Morgen nicht abwarten, bis sie zum Frühstück kam, und klopfte heftig an ihre Zimmertür. Sie antwortete nicht, doch er hörte ein Flüstern, ging ein Stück abseits und sah von seinem Beobachtungsposten aus, daß sich Marions Zimmertür vorsichtig öffnete und ein fremder junger Mann rasch in ein anderes Zimmer schräg jenseits des Flurs schlüpfte. Mit einem Sprung war Klaus an Marions Tür, überzeugte sich, daß wirklich seine Braut dort wohnte, ging zu seinem Wagen, holte seine Pistole, drang bei seinem Nebenbuhler ein und schoß auf ihn – erschoß ihn. Dann jagte er in rasender Fahrt mit seinem Wagen nach München, flog mit der ersten Maschine nach Italien und weiter nach Südamerika, ehe ihn noch jemand verfolgte oder ein Steckbrief gegen ihn erlassen wurde. In einer Hafenbar von Buenos Aires ließ er sich für die „Bahia“ anheuern, als dritten Ingenieur. Dazu brauchte er kein Patent, man verlangte, daß er etwas davon verstand, und das war der Fall. Zweimal hatte er in früheren Jahren als Werkstudent in den Semesterferien Überseefahrten auf großen Dampfern mitgemacht und den schweren Dienst eines Ingenieursassistenten ausgeübt.
So zog er die Uniform mit dem breiten goldenen Ärmelstreifen an. Auf der Bahia gab es Gefahrenzulage – nicht ohne Grund.
Das alte und baufällige Schiff war nicht mehr klassifiziert, jede Gesellschaft würde eine Versicherung ablehnen. Die Bahia fuhr unter liberianischer Flagge, hatte 4000 BRT und 28 Mann Besatzung. Ihre Ladung war klariert, nach Klaus’ Vermutung, für die er Anhaltspunkte hatte, beförderte sie außer anderem Frachtgut auch Waffen und Munition für Revolutionäre in Chile.
Die Mannschaft bestand aus drittklassigen Seeleuten, meist Ausgestoßene – wie er selbst einer war. Klaus Erichsen seufzte. So stand es um ihn.
Der Schiffbrüchige schreckte hoch, als der Wind auffrischte und eine stärkere Welle ihm einen Schuß Salzwasser ins Gesicht spritzte. Er hatte tatsächlich aus Übermüdung längere Zeit geschlafen, denn der Nebel lichtete sich, stieg in die Höhe, es begann zu regnen. Die Sicht war jetzt viel besser. Steuerbords blieb eine felsige Küste zurück und vorwärts dämmerte eine andere, flachere, beide weit entfernt. Die See war leer, nirgends war etwas von den Rettungsbooten zu sehen. Wenn die mäßige Brise, die das Boot vor sich her schob, Bestand hatte, trieb sie es geradewegs auf das Land voraus zu, das er in einigen Stunden erreichen konnte. Für lange Zeit verschwand es wieder hinter Wolkenfetzen, der Regen wurde stärker, aber die Gewißheit wuchs, daß das Boot dem fernen Gestade näher kam. Für einen Augenblick rissen die Wolken auf, und ein Sonnenstrahl streifte das Ufer. Es lag im Nordwesten. Erichsen wußte jetzt die Himmelsrichtung, weil er die Sonne gesehen hatte und schätzen konnte, daß ungefähr Mittag war. Deutlich war zu erkennen, daß es sich um eine Insel handelte. Im Hintergrund der flachen Küste stiegen Berge an. Schließlich war er so weit heran, daß er zur Not das Ufer hätte schwimmend erreichen können, falls der Wind drehte, was hier oft vorkommen sollte. Aber es ging alles gut, Klaus überwand die Brandung, zog das Boot, soweit er es schaffen konnte, auf den steinigen Strand und hielt von einem erhöhten Punkt aus Umschau. Wie zu erwarten, war keine menschliche Siedlung zu sehen, nichts als felsige Einöde, schiefergraues Meer und bleigrauer Himmel. Nach Süden zu stand eine Gruppe verkrüppelter Buchen in einer Mulde, und als er darüber hinweg blickte, sah er einen dünnen Rauchstreifen.
Erichsen nahm die Richtung dorthin auf. Und
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