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Das Reich in der Tiefe

Das Reich in der Tiefe

Titel: Das Reich in der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Koch
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Schiefergestein an ihre Stelle trat, dann fiel er in Schlaf.
    Tags darauf vollzog sich der Abstieg in einem alten Lavagang. Die Wände glänzten wie emailliert und spiegelten das Licht der Laternen. Nach drei- bis vierstündigem Marsch stand man am Rande eines Abgrunds, es war ein alter, weiter Kraterkamin, der in steilem Winkel in unergründliche Tiefen führte. An dieser Stelle befand sich ein Depot, aus dem die Männer Seile, Eisenhaken und Hämmer entnahmen. Dafür ließen sie Bekleidung zurück, die sie nach und nach abgelegt hatten; sie trugen nur noch dünne kurze Hosen aus einem leinenähnlichen Stoff. Überzählige Decken wickelten sie um die Tragsäcke, so daß große zusammengeschnürte Ballen entstanden, die durch ihre eigene Schwere den Kamin hinabrollten. Klaus, auch nur noch im Lendenschurz, wurde so mit Decken gepolstert, daß er gerade noch atmen konnte, dann wie ein Paket abgeseilt. Fünf- oder sechsmal wurde auf vorspringenden Absätzen haltgemacht und das Seil neu befestigt. Dann führte ein schräger Lavagang weiter in die schaurige Tiefe. Hier war es unangenehm heiß. Erichsen befand sich in einem Zustand vollendeter Gleichgültigkeit, es war ihm egal, was weiter mit ihm geschah.
    Die nächste Rast wurde unter einem dünnen Vorhang herabfallenden Wassers gehalten, der die Temperatur auf einen erträglichen Grad milderte. In dem engen Raum, der unter dem Wasserfall trocken blieb, musterte Erichsen zum erstenmal bewußt seine Begleiter. An Gesicht und Körper waren sie Weiße, hatten helle Augen, blonde, doch strähnige Haare, Adlernasen, Mongolenfalten, ausgeprägte Backenknochen.
    Als es abermals weiterging, hatte der Kranke das Empfinden, daß die übermäßige Hitze abgeschwächt sei. Bunte Erzgänge von Kupfer oder Nickel, blitzende Streifen, die vielleicht goldhaltig waren, vielleicht auch nur aus Glimmer bestanden, durchzogen die Wände des Ganges im Urgestein. Je weiter man abwärts kam, um so weniger blieb ein Zweifel, daß ein kühlender Luftstrom von unten her wehte. Ein plötzliches Schwindelgefühl erfaßte ihn, und wieder sank er in tiefe Bewußtlosigkeit.
     
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    Als Klaus Erichsen erwachte, lag er auf einer einfachen Pritsche, bedeckt mit einer dünnen Wolldecke. Eine Zeitlang verhielt er sich reglos und blickte in den schlicht ausgestatteten Raum. Dann versuchte er die Beine zu bewegen, die Schmerzen hatten nachgelassen. Aber ein quälender Druck lastete auf seiner Brust. Langsam kam die Erinnerung wieder. Da beschloß er, einen Gehversuch zu machen, um sich Gewißheit über seine Umgebung zu verschaffen. Klaus schlug die Decke zurück, ganz langsam brachte er das rechte Knie über den Bettrand, den rechten Fuß auf den Boden, erhob sich, humpelte, den linken nachschleifend, tastete sich an der Wand entlang – es ging schlecht genug. Aber er erreichte sein Ziel, das Fenster, stieß die metallenen Läden zurück und kurbelte die halbdurchsichtige Scheibe mit einer dazu bestimmten Vorrichtung herab. Mit den Armen stützte er sich auf das Fensterbrett und beugte sich hinaus. Was er erblickte, ließ ihn seinen erbärmlichen Zustand vergessen.
    Unten in der Tiefe breitete sich eine Landschaft von unübertroffener Fremdartigkeit und Eindringlichkeit aus. Sein Unterkunftsgebäude, der Turm, stand am Rand einer Hochfläche, unmittelbar an deren Steilabfall und gehörte zum Gipfel eines isolierten Berges, der um mindestens tausend Meter die Tiefebene überragte, deren Weite man getrost auf hundert Kilometer nach jeder Richtung, die sich von hier aus überblicken ließ, schätzen konnte. Dieses rot erleuchtete Flachland war nichts weniger als glatte Ebene. Klaus unterschied niedere Bergkuppen und Höhenzüge, meist mit dunkler Vegetation bedeckt. Sein Blick wanderte weiter zu den Randgebirgen, welche allerseits den unterirdischen Kontinent begrenzten.
    Die senkrechten, häufig auch abgeschrägten Mauern und Pfeiler dieser hohen Randgebirge stützten den Himmel, sie trugen ihn buchstäblich auf ihren Schultern. Die Höhlendecke, der Himmel dieser Welt, war das unglaublichste. Nicht eben und glatt, sondern im ganzen konkav zurückspringend wie ein ungeheueres Tonnengewölbe, örtlich Wulste und Vertiefungen bildend, war sie auf ihrer ganzen Fläche mit unzähligen Lichtern übersät, punktförmigen Lichtquellen, leuchtenden Glutflecken und ebenso vielen dunklen Löchern. Klaus richtete den Blick senkrecht an den Turmmauern empor zum Zenit, um

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