Weltraumpartisanen 29: Zeitspule
Auszug aus Titschkus Flottenalmanach 2083/84
Unabhängige Gesellschaft zur Rettung Raumschiffbrüchiger (UGzRR): eine mit Mitteln der EAAU und der VOR ins Leben gerufene Organisation mit humanitärer Zielsetzung, der der Status einer autonomen Gesellschaft verliehen wurde. Die Basis ist Las Lunas. Die Flotte besteht derzeit aus sechs Rettungskreuzern.
HENRI DUNANT (EAAU): Das Schiff trägt den Namen des Schweizer Kaufmanns, der aus Protest gegen das Verwundetenelend in der Schlacht von Solferino (1859) zum geistigen Urheber der Genfer Konvention und Begründer des Roten Kreuzes wurde. Flaggschiff der Gesellschaft.
ALBERT SCHWEITZER (EAAU): Das Schiff wurde benannt nach dem elsässischen Theologen, Philosophen, Musiker und Arzt, der 1913 das Urwald-Krankenhaus von Lambarene begründete. Sein Lebenswerk stand unter dem Motto »Ehrfurcht vor dem Leben«.
FLORENCE NIGHTINGALE (EAAU): Mit dieser Namensgebung wurde der englischen Diakonissin gedacht, die im Verlauf des blutigen Krimkrieges (1853-56) die Versorgung der Verwundeten und Kranken organisierte und sich mit Nachdruck für ein menschenwürdiges Lazarettwesen einsetzte.
ELSA BRANDSTROEM (EAAU): Der Schiffsname hält die Erinnerung wach an den »Engel von Sibirien«. Die Schwedin organisierte im Ersten Weltkrieg (1914-18) das Hilfswerk für die deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen in Rußland.
FRIDTJOF NANSEN (EAAU): Das Schiff trägt den Namen des norwegischen Polarforschers. Nach dem 1. Weltkrieg setzte er sich für die Heimführung der Gefangenen zwischen dem Deutschen Reich und Rußland ein. Er organisierte eine internationale Flüchtlingshilfe (Nansen-Paß). 1922 wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
MAHATMA GANDHI (VOR): Der Rettungskreuzer erhielt den Namen des 1948 ermordeten indischen Staatsmannes, der mit der Waffe des gewaltlosen Widerstandes sein Vaterland in die Freiheit führte. Mahatma = »große Seele«.
RABINDRANATH TAGORE (VOR): Die Schiffstaufe erfolgte im Gedenken an den bedeutenden Sozialreformer, Politiker und Pädagogen, der im frühen 20. Jahrhundert maßgeblich dazu beitrug, Indiens Kultur für den Westen zu erschließen.
1.
Im kalten Licht der Sterne, die aus unnahbarer Ferne teilnahmslos auf dich herabblicken, kann dir schon einmal die Frage kommen, ob, was du tust, überhaupt einen Sinn hat. Lähmende Melancholie droht, von dir Besitz zu ergreifen – wie der gefürchtete Tiefenrausch sich eines Tauchers bemächtigt. Doch immer läßt ein letzter Funke nüchternen Verstandes dich ahnen, daß du die Antwort in dir trägst, daß du sie dir auf der Stelle selbst geben mußt. Auf der Stelle oder du wirst nie wieder sein, was und wer du bislang warst.
Eingehüllt in den staubigen Glanz der Plejaden, stand an diesem 9. Januar des Jahres 2090 die Henri Dunant unbeweglich vor der dienstjüngsten Plattform des sogenannten Inneren Ringes, vor INTERPLANAR XII, und das von Meteoritenschlägen verschrammte Gehäuse mit den unbeleuchteten Bullaugen erschien mir so deutlich wie nie zuvor als ein preisgegebenes Stück Materie, das sich verloren hatte in der Ewigkeit.
Vor rund zwei Wochen hatte die Henri Dunant schon einmal hier gestanden, als es darum ging, einen Mann auf die verlassene Plattform zu schaffen, der mit seinem ungezügelten Ehrgeiz und seinem Starrsinn die Sicherheit des Konvois gefährdet hatte – jenes Konvois, der sich, mit konzentrierter Nahrung vollgestopft, unter meinem Kommando, auf der Reise befand vom Uranus zur hungernden Hauptstadt der auseinanderbrechenden EAAU, nach Metropolis.
Die Erde war nicht zu sehen; ich konnte es mir sparen, sie mit den Blicken zu suchen. Nach wie vor verbarg sie sich hinter dem Staubmantel, der von der Sprengung des Planetoiden Ikarus herrührte: Folge eines verpatzten astralen Verlagerungsmanövers. Die Erde dörrte allmählich aus. Die apokalyptischen Reiter des Hungers verwüsteten die Kontinente. Am schlimmsten wüteten sie in der 50-Millionen-Stadt Metropolis. Eine Konvoiladung Nahrung – ein Tropfen auf den heißen Stein!
Und selbst, wenn es mir gelingen sollte, auch einen zweiten und einen dritten Konvoi nach Metropolis durchzubringen – auf die Dauer war die Stadt damit nicht zu retten. Zuerst würde Metropolis sterben, dann die Kontinente. Die Erde brauchte Sonne, die Erde brauchte Regen.
Vor der achteren Kanzel des Radarraumes konnte ich den Konvoi sehen, wie er sich mit Kurs auf den Uranus entfernte, die leeren Frachter und
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