Das Riff der roten Haie
schwächte so schnell ab, wie er gekommen war. In gnadenloser Unschuld brannte ihm die Sonne Löcher in die Haut. Betäubt vor Durst, mit Fieber, Brandblasen auf Schultern, Stirn, Armen und Händen, trieb Ron an ein Riff.
Am Strand der Insel wurde er bereits erwartet. Es waren drei athletisch gebaute Männer, die ihm aus dem Wasser halfen. Die drei trugen die wunderschönen, mit bunten Ornamenten versehenen Tapa-Bastmatten um die Hüften, die Ron bereits von Tongatapu her kannte. Während er noch vor ihren Füßen kauerte, naß, erschöpft, wie eine halbertrunkene Katze, nahmen sie bereits wieder ihre Speere in die Hand. Das war ihm eigentlich ziemlich gleichgültig. Daß er nun auch noch abgestochen werden würde, schien ihm irgendwie das konsequente Ende dieser Höllenfahrt.
Aber sie ließen die gezackten eisernen Spitzen im Sand stecken.
Der Größte von ihnen hatte eisengraue Haare. Auf den mächtigen Brustmuskeln lag eine prächtige Muschelkette, die in einem von Haifischzähnen umrahmten Medaillon endete. Sein Name war Tápana. Ron sollte es erst später erfahren, aber daß er der Häuptling der Insel war und damit über uneingeschränkte Machtbefugnis verfügte, ahnte er sofort.
Die Worte, die der Mann sagte, konnte Ron nicht verstehen, doch das Lächeln verstand er. Und als der Häuptling ihm nun auf die Beine half, ihn festhielt und über sein Haar strich, schien klar: Du hast es wieder einmal geschafft! Vielleicht gibt's doch so was wie Wunder …
Sie führten ihn durch eine Art Palmenhain hindurch auf einen fast kreisrunden Platz. Ein paar Hütten standen im Schatten von großen Palmen. Bei Ankunft der Männer liefen mehrere Dorfbewohner zusammen. Für Ron, der sich vor Erschöpfung und Fieber nicht mehr bewegen konnte, brachten sie eine Trage, die aus Bambusstangen und geflochtenen Palmblättern bestand.
Kinder, Hunde und Schweine, rannten umher, Feuer brannten, Hühner machten Lärm, und über die Trage neigten sich in endloser Prozession besorgte Frauengesichter.
Dies alles schien irgendwie vertraut – und doch sehr merkwürdig. Auf den Inseln hatte Ron viele Dörfer besucht, und das ganze Bild entsprach durchaus dieser Erfahrung, doch nirgends war eine Radioantenne oder Fernsehschüssel zu entdecken. Wo standen die üblichen Yamaha-Scooter, die japanischen Vespas, die auf jeder Insel zu finden sind? Beile, Messer, auch Nylonnetze entdeckte er, das ja, doch nicht ein einziges modernes Gerät …
Wo blieb der Food-Store? Und die Cola-Reklamen? Vor allem: Wo blieb die Kapelle? Alle möglichen Kirchen und christlichen Sekten hatten in ihrem Missionsdrang ganz Tonga überzogen. Hier war nichts davon zu bemerken. Auch die Kleidung der Inselbewohner war anders als gewohnt. Kein T-Shirt. Keine Jeans. Nein, nichts als ihre traditionellen Bastwickelröcke und -kleider trugen sie hier.
Wo war er nur gelandet?
Was war mit dieser Insel?
Sie brachten ihn in eine kleine Hütte …
***
Ron fühlte sich hundeelend. Sonnenbrand und Erschöpfung hatten ein heftiges Fieber hervorgerufen. Sie gaben ihm zu essen, zu trinken. Er erbrach alles. Und dann erschien eine neue Gestalt an seinem Bett. Der Schädel wurde von einer breiten Stirn und glühenden Augen beherrscht. Das Gesicht darunter war wie mit einem Beil gehauen. Es war ein altes, von tiefen Falten durchzogenes Gesicht. Um das verfilzte Haar zog sich ein Kopfschmuck aus Federn, Muscheln und gefärbtem Bast. Der Medizinmann – was sonst! In einer Trinkschale brachte er bitteren Tee und flößte ihn Ron ein. Dann strich er ihm einen Blätterbrei auf die Brust, und beides half, so scheußlich der Tee auch schmeckte – das Fieber fiel.
Der Stammespriester, der aussah wie der Hexenmeister einer mittelalterlichen Schauergeschichte, hieß Nomuka'ta.
Das Mädchen aber, das ihm das Essen hereintrug, ihn versorgte und ihm in seinen Fieberträumen nicht nur bildhübsch, sondern geradezu überirdisch schön erschien, war die Tochter Tápanas, des Häuptlings. Sie hieß Tama'Olu, wobei das Olu bedeutete, daß sie noch nicht verheiratet war.
Ihr Vater hatte bestimmt, daß sie ihn betreute. Ron war schließlich ein Palangi, ein weißer Ausländer. Palangis wiederum, auch wenn sie halbtot angeschwemmt werden, sind mächtige Menschen, ausgestattet mit dem Mana der großen Kraft. Und war Onana, die Göttin der Liebe, nicht auch die Göttin der Gastfreundschaft? Der Dienst an ihr aber wurde, wie alle anderen guten Sitten auf Tonu'Ata, sehr ernst genommen.
***
Für
Weitere Kostenlose Bücher