Das Riff der roten Haie
den Schultern wanderten, war er manchmal so müde, daß er einschlief. Oft weckte ihn ihr Lachen, und er fuhr schuldbewußt hoch.
»Komm, Ovaku, ich massiere dich.«
»Das nützt auch nichts«, stöhnte er dann. »Ich bin tot.«
»Kofe Hain Palangi«, sagte Tama lachend. »Woher kommst du bloß, du Ausländer?«
Ron grinste und schwieg. Sie schlug nach ihm, lachte und war schon wieder dabei: »Los schon. Ich will es wissen. Ganz genau will ich es wissen. Erzähl es mir: Wo kommst du her?«
Wo kommst du her?
Als ob es so einfach wäre, darauf Auskunft zu geben …
Manchmal erschien ihm alles, was hinter ihm lag, so undeutlich, daß er es selbst nicht mehr zu ordnen vermochte. Und manchmal hatte er sogar den Eindruck, nicht nur eines, sondern verschiedene Leben hinter sich zu haben, die wiederum nicht von einem einzigen, sondern von zwei Menschen erfahren wurden …
***
Der Mann, der sich Ron Edwards nannte, hatte aus den Trümmern seines Boots einen grünen, starken, mit einem Klebeverschluß gesicherten Plastiksack gerettet. Eine Seekarte befand sich darin, etwas Kleidung, eine Tasche mit US-Dollarnoten – rund neunhundert waren es noch – dazu eine Handvoll Francs und tongaische Dollars und zwei Pässe.
Der eine Paß war ein US-Paß. Ausgestellt in San Angelo, Texas. Der andere trug den Stempel des Paßamtes Köln, BRD. – Er lautete auf den Namen Rudolf Eduard Hamacher …
Manchmal dachte er: Vielleicht ist dieser ›Ron Edwards‹ nichts anderes als die wilde Ausprägung, die Abenteuersteigerung des Eduard Hamacher, eines Kerls, der es immer ›ein bißchen weiter‹ und ›ein bißchen anders‹ wollte, der kein Risiko scheute, koste es ihn auch die Knochen – wenn er damit nur das eine große Risiko vermeiden konnte: die Langeweile. In solchen Situationen meldete sich dann Edward Hamacher aus Deutschland, der Mann der Vernunft. Und genau das war er nicht.
Gut – aber wer war er dann?
***
Am 14. Oktober des Jahres 1987 bekam Otto Steller, der Besitzer des Wald-Cafés in dem Eifel-Dorf Hinterweiler, einen Anruf. Am Apparat war eine freundliche, routinierte Sekretärinnen-Stimme.
Steller hörte sich an, was sie sagte und legte den Hörer auf.
»Ich werd' verrückt, Gerti. Unseren ganzen Schuppen will er für seinen Geburtstag mieten. Mensch, der Eddi!«
»Welcher Eddi?« fragte Stellers Frau.
»Der Eddi Hamacher. Na, du weißt doch …«
Gerti Steller wußte. In Hinterweiler waren die Hamachers seit Generationen ansässig. Eigentlich waren sie Bauern, doch zwei Hamachers hatten es bis zum Lehrer, einer sogar bis zum Apotheker in Gerolstein gebracht. Von Eddi Hamacher wußte man lediglich, daß er gleichfalls in Gerolstein aufs Gymnasium gegangen war, dort das Abitur bestand, um dann in Köln eine Lehre als Bankkaufmann zu beginnen.
Für die Menschen in Hinterweiler aber war es weit, sehr weit nach Köln.
Und jetzt wollte Eddi also kommen? Es sei sein fünfunddreißigster Geburtstag, hatte die Dame gesagt.
Er kam im schwarzen Porsche und brachte einen VW-Bus voll Leute mit. Die meisten waren jung. Es befanden sich auffallend viele hübsche Mädchen darunter, und allen sah man die Stadt an.
»Kollegen aus der Bank«, stellte Eddi die Fremden vor. Er hatte sich ziemlich verändert, schlank, groß, blond war er noch immer, das schon, aber er wirkte so distanziert … Und dann die Kleidung. Er trug keinen Anzug, nur Hose, Hemd und Lederjacke, aber alles vom Feinsten.
Dieser neue, fremde Eddi Hamacher tat nun das, was man in Hinterweiler ›ein Faß aufmachen‹ nennt. Die Kapelle legte los, es wurde getrunken, gelacht, getanzt – doch was war mit Eddi? Man konnte ihm auf die Schultern klopfen, man konnte ihn abküssen, er behielt immer dasselbe nachdenkliche Lächeln bei, den gleichen abwesenden Blick.
Eddi Hamacher überlegte. In etwa überlegte er folgendes: Dies also soll nun den Höhepunkt deines bisherigen Lebens darstellen? Die triumphale Heimkehr des Eddi Hamacher nach Hinterweiler. Und wenn's das ist, wie sieht dann, um Himmels willen, der Rest deines Lebens aus? Was wird folgen? Den großen Überflieger hast du bereits hinter dir: Blitzkarriere. In zehn Jahren vom Lehrling zum selbständigen Leiter der Kreditabteilung. Und dazu im größten Bankhaus Kölns. – Nun die Fortsetzung – Filialchef. Prokura vielleicht. Und dann?
Ja, was dann?
Hamacher hob sein Glas. Diesmal trank er sich selber zu: Prost, du Idiot! Er trank dem neuen Eddi Hamacher in sich zu, den er zwar schon
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