Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
Lehrerzimmer?“, fragte Lea, als sie mit dem Rektor allein war. „Sie machen sich’s ja gemütlich.“
„Eine Anschaffung, die eigens für gelegentlich umfallende Schüler und Schülerinnen getätigt wurde“, erklärte Neebel. „Du solltest es also zu schätzen wissen. Wie fühlst du dich?“
„Betrogen.“
„Ich meinte körperlich. Wieso überhaupt betrogen? Wer betrügt dich?“ Seine Stimme klang gereizt. Ob Hußmann ihm schon von ihrer Vampirgeschichte erzählt hatte? Ob er sie für eine paranoide Spinnerin hielt?
„Herr Grams hat mir vorgestern noch versprochen, ich komme in diesen Kurs.“
„In welchen Kurs?“
„Programmieren für Fortgeschrittene.“
Seine Stirn runzelte sich im Augenblick des Nachdenkens, die Zunge tippte zwei-, dreimal schüchtern von innen an die Wange, als ob sie um Ausgang bäte – und dann hellte sich sein Blick auf, er strahlte richtiggehend, wie ein Schüler, der endlich eine Aufgabe verstanden hat. Er hatte sich also erinnert. Schön. Lehrer hatten so einfache Freuden.
„Ich erinnere mich“, bekräftigte er überflüssigerweise. „Der Programmierkurs. Ein großes Projekt für unsere kleine Schule. Der Eintritt ins neue Jahrtausend ...“
„Ja, mit noch nicht mal zwanzig Jahren Verspätung.“
„Jetzt werde nicht frech, Mädchen. Warum wolltest du denn unbedingt in diesen Kurs hinein?“
Sie wusste nicht recht, was sie darauf sagen sollte. War das nicht offensichtlich?
„Warum wollte der Grams mich denn unbedingt raus haben?“, fragte sie schließlich zurück.
„Niemand will dich unbedingt irgendwo raus haben, schon gar nicht Herr Grams. Es war lediglich so, dass es mehr Bewerber gab als Plätze, und dass eine Entscheidung getroffen werden musste.“
„Als ich vorgestern auf die Liste geschaut habe, war es noch einer zu wenig. Mit mir wäre sie genau komplett gewesen. Und ich habe mich gleich angemeldet.“
Neebel zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Die Reihenfolge der Anmeldung war nicht das einzige Kriterium ... wir mussten ein gewisses Niveau sichern ... dein Konkurrent um den letzten Platz ist nun einmal der Bessere ... man muss im Leben auch Niederlagen ertragen können ...“
Lea schloss die Augen. Das war es also. Wieder mal. Es war der gleiche Grund, aus dem sie vermutete, dass ihre Eltern so erstaunlich taub waren, wenn es um ihre digitalen Wünsche ging; der gleiche Grund, aus dem selbst Herr Grams nie so richtig begeistert von ihrer Arbeit war, auch wenn er ihr dann immer wieder eine Eins gab; der Grund, aus dem nun ihr 'Konkurrent' das Rennen gemacht hatte. Sie hatte es so satt.
„Es ist, weil ich ein Mädchen bin, nicht wahr? Frauen und Technik, das denkt ihr doch alle.“
Neebel lachte kurz auf. „Was für ein Unsinn“, rief er laut, „wir leben ja nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert. Noch nicht mal mehr im zwanzigsten. Wir haben Quoten, wir haben die Frauenbewegung, wir haben ... wir haben ...“
„Wer ist es denn, wegen dem ich rausgeflogen bin?“
„Der Schüler, dessentwegen du“, verbesserte der Rektor automatisch, „nun, es ist Bülent Sertkük. Du kennst ihn, ihr geht ja in eine Klasse.“
Bülent Sertkük. Bülent. Lea starrte konzentriert auf die Innenseite ihrer Augenlider, ruhig, ganz ruhig, es ist alles in Ordnung, alles wird in Ordnung kommen, es ist ausgerechnet Bülent, und das Leben ist ganz gemein und beschissen, aber du bleibst ganz ruhig, irgendwie wird es sich wieder einrenken, obwohl es ausgerechnet Bülent ist, und weil du ganz ruhig bleibst, wirst du jetzt nicht schreien, du wirst ganz ruhig hier liegenbleiben und nicht an Bülent denken und nicht schreien ---
Und dann schrie sie, und in der ganzen Schule setzte für einige Sekunden der Unterricht aus, bevor die Welle des Alltags wieder zuschwappte und den Augenblick der Katastrophe unter sich begrub.
3. Kapitel
„Herr Schüssler.“ Der Hauptkommissar rieb sich die Augen mit Daumen und Mittelfinger. Dann kratzte er den Bartschatten an seinem Kinn und drückte den Zeigefinger schließlich nachdenklich in seine Wange, deren teigige Form ihm eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Dogge bescherte. „Herr Schüssler, ich bin durchaus keine Dumpfbacke. Ich habe fünf Semester Philosophie studiert, bevor ich in den gehobenen Polizeidienst eintrat. Ich habe Watzlawick gelesen und bin im Bilde darüber, dass unsere Wirklichkeit erst in unseren Köpfen entsteht.“
Achim Schüssler kaute nervös auf seiner nicht angezündeten
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