Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
Millisekunde lang war sie überzeugt, ihre Mutter habe ihre Gedanken gelesen. Aber nein, sie hatte lediglich weitererzählt, während Leas Gedanken abgedriftet waren.
„Ich sagte, er hat diese Leute noch nicht getroffen, sie haben sich nur gegenseitig E-Mails geschickt. Morgen Abend haben sie einen Termin, er sagt, es sieht gut aus. Sie sind auf ihn zugekommen, weil er letztes Jahr diese Alarmanlage konfu- ... konfi- ...“
„Konfiguriert hat.“
„Danke, Schatz. Ich bin einfach nicht mehr auf dem Laufenden mit den Computer-Ausdrücken. Seit ich mit meinem Beruf aufgehört habe, komme ich einfach nicht mehr dazu. Ich müsste mal einen Volkshochschulkurs machen ...“
„Mama?“
„Ja?“
„Kannst du mir sagen, wie es kommt, dass alle unsere Gespräche damit enden, dass du mir erzählst, wie du damals meinetwegen deinen Beruf aufgegeben hast?“
„Doch nicht deinetwegen. Kommt dir das so vor, mein Schatz?“
„Weswegen denn sonst?“
„Weil ich gemerkt habe, dass die doppelte Belastung zu viel für mich wurde, und nicht wollte, dass die Familie darunter leidet.“
„Das ist doch haargenau dasselbe!“ Lea war böse. „Und du kommst bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit darauf zu sprechen. Es hängt mir langsam zum Hals raus! Beruf aufgegeben hier, Beruf aufgegeben da. Ich wünschte, du wärst bei deinem blöden Beruf geblieben, wenn du es so schrecklich findest, hier bei mir zu sein.“
„Jetzt hör aber auf. Du bist schlecht drauf, das kommt vor in deinem Alter. Aber lass es nicht an mir aus, hörst du?“
Lea kramte einen Zettel aus ihrer Hosentasche, entfaltete ihn und fuhr mit dem Finger über die Zeilen. „Gestern habe ich dir erzählt, dass ich mich für einen Computerkurs angemeldet habe. Du hast gesagt, das sei schön, und es sei schade, dass es zu deiner Zeit als Lehrerin solche Kurse noch nicht gegeben habe, und bis es sie gab, hattest du deinen Beruf aufgegeben.“
Das Gesicht ihrer Mutter verfinsterte sich, während sie die Schürze losband. „Du hast dir das aufgeschrieben ?“
Lea fuhr unbeirrt fort. „Vorgestern habe ich dir gesagt, ich will mir die Haare schwarz färben. Du hast gesagt, das könntest du dir an mir gut vorstellen, und in deiner Zeit als Lehrerin seien plötzlich alle Mädchen blond herumgelaufen, du seist erleichtert, dass dem wohl nicht mehr so ist, aber das könntest du ja nicht so richtig beurteilen, weil du ja deinen Beruf aufgegeben hast.“
„Hör mal, das reicht jetzt aber ...“
„Am Sonntag habe ich dir erzählt, dass ich in der Bibliothek ein Buch von Anne Rice geholt habe, und zwar Königin der Verdammten , das dritte von den Lestat-Büchern. Und du hast gesagt, das erinnere dich daran, wie du damals mit deinen Schülern in Englisch das Thema Horror durchgenommen hast, dass ihr Bram Stoker als Beispiel hergenommen habt und dass es interessant war herauszufinden, mit welchen Mitteln Stoker eine gruselige Atmosphäre erreicht. Und dann hast du laut geseufzt und gesagt, das sei nun mal eine andere Zeit gewesen, bevor du deinen Beruf aufge---“
„GENUG!“ Valeskas Lippen zitterten, als ihre Tochter aufsah. Lea erschrak. So weit hatte sie gar nicht gehen wollen. Was war nur los mit ihr?
„Du kommst dir unheimlich schlau vor, Lea, stimmt’s?“
„Nein, Mama. Ich dachte –“
„Weißt du was, Lea?“
Es tut mir leid, Mama. Wollte sie sagen. Aber irgendwie kam es nicht heraus. Lea schwieg.
„ Sollen dich doch deine Vampire holen! “, schrie ihre Mutter sie an.
Eine Tür schlug.
Lea fröstelte.
Das Leben ist verdammt kalt geworden, dachte sie, als sie auf den Zettel in ihrer Hand starrte.
Er war leer.
Valeska Leonardt stand in der Mitte ihres Schlafzimmers und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hätte sich gerne auf den Boden geworfen oder laut und lange geschrien oder sich mit den Fingernägeln die Haut zerkratzt. Aber das wäre alles Theater gewesen, alles nicht sie selbst, nicht so, wie sie hier und jetzt war, und so blieben die Wut und die Enttäuschung in ihrem Bauch und brandschatzten dort, bis nur noch Leere und Resignation zurückblieben.
Wie hatte es nur so weit kommen können?
Sie hatte ihren Mann vor über einem Vierteljahrhundert kennengelernt. Eine sehr pessimistische Zeit war das gewesen, Tschernobyl schien die atomare Apokalypse einzuläuten, selbst ohne den befürchteten Atomkrieg zwischen West und Ost, dessen Gefahr noch keineswegs gebannt war. Weitere, wenn auch nicht so vernichtende
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