Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
erlaubte Minute am Rechner.
Sie spielte nie.
Ihr Vater hatte für sie ein eigenes Benutzerkonto eingerichtet: Das hieß, sie durfte eigene Programme auf dem Rechner installieren und konnte ihre eigenen Sachen speichern, ohne dass sie irgendetwas von seinen wichtigen geschäftlichen Angelegenheiten zerstören konnte.
Damit erschöpfte sich allerdings die Förderung seitens ihrer Eltern. Was sie auch tat, welche kniffligen Probleme sie am PC löste, wie ausgefeilt auch immer die kleinen Grafiken und Filmchen waren, die Lea für sie zu Weihnachten oder Ostern anfertigte – sie nahmen es hin, bedankten sich, sagten „schön“. Aber sie taten nichts weiter. Obwohl Lea in den Wochen vor ihrem diesjährigen Geburtstag Andeutungen um sich gestreut hatte wie eine Gärtnerin die Grassamen, kam am großen Tag keineswegs ein Rechner unter dem Geschenkpapier zum Vorschein. Stattdessen: eine Wasserpistole! Keine gewöhnliche, zugegeben, sondern ein neonfarbenes Riesending, sie hatte einen Ein-Liter-Tank und erzeugte den Druck zum Schießen mittels einer Spiralfeder, die man mit einer Flügelschraube spannen konnte. Danach ließ das Wunderwerk ein minutenlanges Dauerfeuer zu. Es war sogar eine Weile ganz lustig gewesen, sie an jenem sommerlich heißen 21. Juni zu laden und die Gäste damit zu traktieren. Aber trotzdem: eine Wasserpistole! Sie war doch kein Kind mehr! Sie war fünfzehn geworden! Wenn es wenigstens Rollerblades gewesen wären! Oder ein eigenes Handy, sie war wahrscheinlich die Letzte in ihrer Klasse, die keines hatte! Aber nein – eine Wasserpistole. Und kein Computer.
Als ihr Vater sich dann einen neuen Rechner anschaffte und seinen alten, anstatt ihn ihr zu vermachen, an einen Bekannten verkaufte, gab Lea es auf, von ihren Eltern Unterstützung zu erwarten.
Dennoch war sie weit davon entfernt, die Flinte ins Korn zu werfen. Im Gegenteil: Erst vor kurzem hatte sie einen Jungen aus der zwölften Klasse gefragt, ob er ihr Geld leihen könne, um sich einen eigenen PC zu kaufen. Denn eines Tages, das hatte sie sich geschworen, eines Tages würde sie ihre Eltern, ihren Vater beeindrucken, wie schwierig das auch immer sein mochte, und er würde blutrot anlaufen vor Stolz über seine Tochter ...
Und nun diese Liste. Die unerbittliche Liste. Einmal im Leben hatte sich die Schulverwaltung dazu herabgelassen, in den zehnten Klassen einen Programmierkurs für Fortgeschrittene anzubieten, zwar nur als Wahlfach und nachmittags, aber immerhin – sonst kamen, wenn überhaupt, höchstens die Zwölfer in den Genuss solch höherer Weihen. Für eine Schule, die erst kürzlich von einer Zeitschrift zum ehrenvollen Schlusslicht in puncto „Modernes Lernen“ gekürt worden war und deren inoffizieller Name im Schülermund „Großvater-Tran-Gymnasium“ lautete, war das also schon mal was.
Und sie war nicht dabei. Sie war einfach nicht dabei. Sie dachte an Herrn Grams, ihren Informatiklehrer („Informatik“ hieß zwar so, war aber für Babys – wie man einen Computer einschaltet und so weiter), sie erinnerte sich, wie er ihr erst vorgestern gesagt hatte, es sei kein Problem, der Kurs sei noch nicht voll. Er hatte ihr die Teilnehmerliste gezeigt, vierundzwanzig waren es gewesen. Sie stellte sich vor, wie sie Herrn Grams eine Ohrfeige verpasste, die es garantiert in die Geschichtsbücher bringen würde, eine Ohrfeige, die alle Wut der Welt in sich trug, und wie sein Kopf vom Körper flog, wie das Blut aus dem Hals spritzte und der Kopf in dem Korb landete, der sich unten an der Tafel befand und normalerweise die Kreide beherbergte, und er lag in diesem Korb und starrte sie an und lachte und lachte und lachte, und der blutspritzende Körper kam auf sie zu und streckte die Hände nach ihr aus, fasste sie an, und sie spürte die Hände, Leichenhände, eiskalt in ihrem Gesicht---
Eiskalt. Lea prustete und schlug die Augen auf. Ihr Gesicht war tropfnass, sie lag auf einem Klappbett, um sie herum standen einige Schüler und Lehrer, und Herr Neebel, der Rektor, hielt noch den Waschlappen in der Hand.
„Sie wird wieder wach“, murmelte jemand hinter ihr.
„Die hat doch nur simuliert“, flüsterte eine zweite Stimme.
„Raus jetzt“, kommandierte Neebel, „ihr habt eure Schau gehabt. Ob hier irgendjemand simuliert, wird die Blutdruckmessung zeigen. Raus. Dies ist ein Lehrerzimmer und kein Versammlungsraum. Und Sie, werte Kollegen, können jetzt wohl auch Ihren Unterricht aufnehmen.“
„Ein Klappbett im
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