Das Rosie-Projekt
sie ungerührt fortsetzte. Ich hatte auch Mitgefühl mit Phil, der gerungen hatte, um mit der Untreue und dem Tod seiner Freundin zurechtzukommen, und dann, um Rosies Liebe zu gewinnen. Mit Kevin Yu, der so krampfhaft darauf bedacht gewesen war, den Kurs zu bestehen, dass er seine ethischen Überzeugungen vergaß, mit der Dekanin, die unter widersprüchlichen Regeln schwierige Entscheidungen treffen und Vorurteilen gegenüber ihrer Kleiderwahl und ihrer Beziehung entgegentreten musste. Ich hatte Mitgefühl mit Wunderheiler, der seine religiöse Überzeugung mit wissenschaftlichen Beweisen in Einklang bringen musste, mit Margaret Case, deren Sohn Selbstmord begangen hatte und deren Gehirn nicht mehr richtig funktionierte, besonders aber mit Rosie, die als Kind und auch noch jetzt als Erwachsene unter dem Tod ihrer Mutter und dem Vaterproblem litt und sich wünschte, dass ich sie liebte. Das war eine beeindruckende Liste, und obwohl Rick und Ilsa aus
Casablanca
nicht darin vorkamen, war es doch ein eindeutiger Beweis, dass ich nicht vollkommen unfähig zur Empathie war.
Die Unfähigkeit (oder verminderte Fähigkeit) zur Empathie ist nicht dasselbe wie die Unfähigkeit zu lieben. Liebe ist ein starkes Gefühl für einen anderen Menschen, das sich der Logik oft entzieht.
Rosie hatte bei etlichen Kriterien des Ehefrauprojekts versagt, einschließlich des äußerst kritischen Punkts »Rauchen«.
Mein Gefühl für sie konnte durch Logik nicht erklärt werden.
Meryl Streep war mir egal. Rosie dagegen … liebte ich.
Ich musste schnell handeln – nicht, weil ich dachte, die Situation mit Rosie könnte sich in naher Zukunft ändern, sondern weil ich mein Jackett brauchte, von dem ich hoffte, dass es noch in dem Abfalleimer steckte, in den ich es geworfen hatte. Zum Glück war ich bereits angezogen.
Es regnete noch immer, als ich den Abfalleimer erreichte – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie er in einen Müllwagen geleert wurde. Ich hatte einen Plan B parat, aber der würde Zeit benötigen. Ich drehte das Fahrrad um und überquerte die Straße. Da entdeckte ich einen Obdachlosen, der sich zum Schutz vor dem Regen in einen Hauseingang gekauert hatte. Er schlief tief und fest und trug mein Jackett. Vorsichtig griff ich in die Innentasche und zog den Umschlag und mein Handy heraus. Als ich wieder aufs Fahrrad stieg, sah ich auf der anderen Straßenseite ein Pärchen, das mich beobachtete. Der Mann wollte auf mich zurennen, doch die Frau rief ihn zurück. Sie holte ihr Handy und telefonierte.
Es war erst 7 : 48 Uhr, als ich die Uni erreichte. Aus entgegengesetzter Richtung kam ein Polizeiwagen, fuhr langsam an mir vorbei und setzte zur 360 -Grad-Wende an. Mir fiel ein, dass er meinetwegen gerufen worden sein könnte, um wegen des vermeintlichen Diebstahls an dem Obdachlosen zu fahnden. Schnell bog ich auf den Radweg ab, auf dem ich von einem Auto nicht verfolgt werden konnte, und radelte zum Genetik-Gebäude, um ein Handtuch zu organisieren.
Als ich die unverschlossene Tür zu meinem Büro öffnete, war offensichtlich, dass ich Besuch gehabt hatte – und wer dieser Besuch gewesen war. Die roten Rosen lagen auf meinem Schreibtisch. Ebenso der Ordner des Vaterprojekts, der aus dem Aktenschrank hervorgeholt worden war. Die Liste der Vaterkandidaten mit Beschreibung der Proben lag daneben. Rosie hatte eine Nachricht hinterlassen.
Don, es tut mir alles so leid. Aber jetzt weiß ich, wer Serviettenmann ist. Ich habe es Dad erzählt. Das hätte ich vielleicht nicht tun sollen, aber ich war sehr aufgebracht. Ich habe versucht, Dich anzurufen. Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Rosie.
Zwischen
Entschuldigung
und
Rosie
waren viele Wörter durchgestrichen. Aber das war eine Katastrophe! Ich musste Gene warnen.
In seinem Kalender stand eine Verabredung zum Frühstück im Universitätsclub. Ich ging in den Doktorandenbereich und fand Stefan, aber keine Rosie. Stefan merkte wohl, dass ich sehr aufgebracht war, und folgte mir.
Im Club sah ich Gene an einem Tisch mit der Dekanin sitzen. An einem anderen Tisch saß Rosie. Sie war mit Claudia dort und wirkte sehr traurig. Mir ging auf, dass sie womöglich die Neuigkeiten über Gene erzählen könnte, auch ohne vorherige Überprüfung der DNA . Das Vaterprojekt wuchs sich zu einem schrecklichen Desaster aus. Doch ich war aus einem anderen Grund hier. Ich wollte unbedingt meine neue Erkenntnis mitteilen. Das andere Problem könnten wir später lösen.
Immer noch ganz durchnässt,
Weitere Kostenlose Bücher