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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
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andere.»
    Lina lächelte schwach. «Sie ist eher etwas für dich.»
    «Zieh es an, Lina.»
    «Aber …»
    «Los, zieh es an.»
    Widerstrebend zog Lina ihr schlichtes schwarzes Kleid aus und warf das Ballkleid über. Zunächst einen weiteren Unterrock aus weißem, duftigem Tüll, denn sie hatte den ansonsten schlichten Rock unten in regelmäßigen Abständen hochgerafft und diese Raffungen mit grünen Schleifen besetzt. Der weiße Tüll war auch wie ein dünner Schal über den Rand des Ausschnittes gelegt. Den Ausschnitt hatte sie nicht so weit über die Schultern heruntergezogen wie bei Minas Kleid, und ein geschickt eingearbeitetes Polster kaschierte die ungleiche Höhe der Schultern. Ton in Ton gehaltene Paspeln schmückten das Oberteil, an den kurzen Ärmeln war die Seide durchbrochen und ließ den Blick auf den Tüll frei.
    Mina half Lina, die Haken zu schließen. «Was für ein Kleid!», sagte sie bewundernd.
    «Ich werde es für dich umarbeiten», schlug Lina sofort vor.
    «Untersteh dich, Schwester. Was soll denn das ganze Gerede, dass das Kleid zu schade für dich ist?»
    Lina ging ein paar Schritte. «Deswegen.»
    Mina runzelte zornig die Stirn. «Lina, was glaubst du, sehen die Leute, wenn sie dich anschauen? Findest du mich schön, Schwester?»
    Lina nickte. «Natürlich bist du schön.»
    Mina griff sich Lina, nahm ihr die Haube ab und zwang sie, in den Spiegel der Waschkommode zu sehen. «Wir sind Zwillinge, Lina. Wir gleichen uns aufs Haar. Und das sehen die Leute, wenn sie dich anschauen.»
    Lina zitterte fast ein bisschen, als sie sich und Mina im Spiegel erblickte.
    «Und jetzt komm mit mir, Lina, pack endlich deine Geschenke aus, sei fröhlich und feiere noch ein wenig mit uns.»
    Lina gab ihren Widerstand auf und folgte der Schwester nach unten, wo bereits alle auf sie warteten. Auf dem Tisch stand eine Holzkiste.
    «Das, liebe Schwägerin, ist unser Geschenk für dich», sagte Bertram, und seine Augen leuchteten, als würde er selbst beschenkt. «Du weißt, Eberhard war für ein Jahr in der Lehre bei seinem Onkel in Neu-York. Er hat dort viele neue Dinge gesehen. Und als er mir davon schrieb, wusste ich gleich, das ist das richtige Geschenk für dich.»
    Eberhard lüftete den Deckel der Kiste, damit Lina hineinsehen konnte. Drin stand eine kleine metallene Maschine mit einem Antriebsrad an der Seite. Der junge Mann hob sie aus der Kiste und stellte sie auf den Tisch. «Das ist eine Nähmaschine», kündigte er begeistert an.
    «Du meinst, damit kann man nähen?»
    Er nickte. «Ich weiß, dass du dir bereits Nähmaschinen angesehen hast, die in der Uniformnäherei benutzt wurden, liebe Tante.»
    Lina hasste es, wenn Eberhard sie «Tante» nannte, aber sie konnte es ihm nicht abgewöhnen.
    «Diese hier ist mit der allerneuesten Technik ausgestattet. Sie näht nicht nur schwache Kettenstiche. Schau hier!» Er deutete auf den Unterbau der Maschine. «Mit dieser Spule und dem umlaufenden Greifer nähst du eine festere Naht, als du es mit der Hand je könntest. Und du bist dreimal schneller.» Und dann begann er, die einzelnen Teile zu beschreiben. Schließlich holte Lina auf seinen Wunsch hin Nähseide und ein Stück Stoff und konnte sich kurz darauf von den Nähten, die die Maschine produzierte, überzeugen.
    Als sie schließlich weit nach Mitternacht im Bett lag, konnte Lina an nichts anderes mehr denken als an die Nähmaschine. Wie viel Freude würde sie am Nähen haben, wenn sie die endlosen Saumnähte der weiten Röcke in weniger als der Hälfte der Zeit fertigstellen konnte!

    Eine Woche später trug Lina wieder ihr neues Ballkleid. Mina und sie hatten sich gegenseitig die Haare frisiert und sich einen Spaß daraus gemacht, exakt die gleiche Frisur zu tragen. Besonders für Lina waren die Locken, die seitlich das Gesicht umspielten, ungewohnt, aber Mina hatte darauf bestanden. «Keine von uns muss sich verstecken», hatte sie gesagt.
    Doch die Freude war nicht ungetrübt, denn seit Weihnachten ging es dem alten Kaufmeister nicht gut. Hatte er am Heiligen Abend noch lange mit der ganzen Familie zusammengesessen, wollte er schon am ersten Weihnachtstag sein Zimmer nicht mehr verlassen. Lina stand im Feiertagstrubel wenig der Sinn danach, ihn sanft zu zwingen. In den nächsten Tagen war er nicht einmal dazu zu bewegen, das Bett zu verlassen.
    Josef und Emil hatten sich seit ihrer Ankunft sehr um den Großvater bemüht. Oft hockten die Jungen bei ihm, lasen ihm vor oder ließen sich etwas von ihm

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