Das Sakrament
ließ seine Mutter los, wischte die Klinge an der Hose ab, wickelte den Lappen vom Heftdorn, um auch ihn zu säubern. Dann nahm er die Klinge bei der Spitze und reichte sie Abbas ohne Furcht. In dem Augenblick, als er den Dolch berührte, zog Abbas verwundert die Augenbrauen hoch und hielt sich die Klinge gegen den Handrücken. Mattias begriff, daß der Stahl noch warm sein mußte. Abbas machte eine Geste mit dem Dolch.
»Du hast diesen Dolch gemacht?«
Wieder verstand Mattias zwar die Worte nicht, wohl aber die Frage. Er nickte. Dann trieb Abbas sein Pferd auf das Haus zu, lehnte sich aus dem Sattel und schob drei Fingerbreit des Dolches in den Spalt zwischen dem Türrahmen und der Wand. Mit seinem ganzen Körpergewicht stemmte er sich auf den Heftdorn. Mattias zuckte zusammen, als die Klinge sich krümmte. Panik breitete sich in seinen Eingeweiden aus, während er erwartete, daß der Stahl zerbrechen würde – aber er zerbrach nicht. Als Abbas losließ, federte die Klinge zurück. Abbas zog den Dolch aus dem Spalt, untersuchte ihn noch einmal und schaute Mattias an. Einen Moment später verschwand der Dolch in der Dolama des Hauptmanns.
Abbas gab Befehle, und Mattias beobachtete, wie der zweite Adjutant kehrtmachte und fortritt. Der erste, der seine Damaszenerklinge noch nicht wieder in die Scheide gesteckt hatte, trabte zu den beiden knienden Schändern. Sie zeterten und bettelten gestenreich. Der Adjutant trieb sie mit der Klinge dazu, aufzustehen und vor ihm her zu stolpern, zurück auf die Straße.
Abbas wandte sich um und faßte hinter die Hinterpausche seines Sattels. Er hakte eine zusammengerollte milchweiße Decke dort los und warf sie Mattias zu. Sie war aus feinster Lammwolle gewirkt. Noch nie hatte Mattias ein so feines Gewebe in Händen gehalten. Verwirrt über dieses Geschenk, starrte er Abbas an, der daraufhin eine Geste in Richtung seiner toten Mutter machte.
Mattias spürte, wie sich ihm der Hals zuschnürte und die Tränenin den Augen brannten. In Wahrheit hatte er keine Decke geschenkt bekommen, sondern die Würde einer Frau. Er wandte sich um und rollte die Decke auf. Wie eine zärtliche Berührung fiel sie über seine Mutter. Tränen stiegen ihm in die Augen, als sie für immer darunter verschwand. Sie war tot und doch nicht tot, denn sie erfüllte sein Herz mit einer Liebe, die alle Bande sprengte. Er fragte sich, ob sie wohl schon im Himmel war und ob Gott wohl je zulassen würde, daß er sie wiedersah. Dann hörte er Abbas’ Stimme und drehte sich zu ihm um.
»Alles Fleisch ist nur Staub«, sagte Abbas. Er zog ein Buch aus seiner Satteltasche. Der grüne Ledereinband war mit einer goldenen Schrift von wunderbarer Kunstfertigkeit verziert. Als ließe er sich die Hand von Gott führen, öffnete Abbas das Buch an einer zufälligen Stelle. Seine Augen überflogen die Seite und verharrten dann, als hätten sie etwas Besonderes gefunden. Er blickte von dem Buch auf und zeigte auf den Jungen.
Er sagte: »Ibrahim.«
Mattias starrte ihn verständnislos an.
Abbas deutete erneut auf ihn, mit drängender Geste: »Ibrahim.«
Nun begriff Mattias, daß dies der Name war, bei dem ihn der Hauptmann von nun an rufen wollte und den er anscheinend in dem heiligen Buch gefunden hatte. Mattias blinzelte. Seine Mutter war fort. Britta und Gerda waren fort. Sein Vater würde zu einer Totengrube zurücckehren. Der scharlachrote Hauptmann wartete auf seinem hohen grauen Araberhengst. Mattias tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust.
Er sagte: »Ibrahim.«
Abbas nickte, schlug das heilige Buch zu und verstaute es wieder. Der Adjutant kehrte mit einem gesattelten Pferd zurück und reichte Mattias die Zügel. Der Junge begriff, daß er mit diesen scharlachroten Reitern fortziehen sollte. Er zögerte nicht, sondern stieg auf das Pferd. Von dieser hohen Warte aus hatte die Welt sich bereits verändert. Mattias beugte sich zum Kopf des Pferdes herunter und flüsterte, wie sein Vaters es ihm vor demBeschlagen der Pferde beigebracht hatte: »Hab keine Angst, mein Freund.«
Abbas machte kehrt, und sein Adjutant folgte ihm. Mattias schaute auf den mit der Decke verhüllten Leichnam und dachte an seinen Vater. Er würde nun nie den Zauber lernen, den sein Vater ihm noch hatte beibringen wollen. Wäre die Klinge gesprungen, hätten ihn die Reiter vielleicht zurückgelassen, um die Toten zu begraben. Mattias unterdrückte seine Furcht und trieb sein neues Reittier an. Er schaute kein einziges Mal zurück.
So
Weitere Kostenlose Bücher