Das Sakrament
Krummschwert, das ebenfalls mit der dunklen sirupartigen Flüssigkeit besudelt war. Als der Junge von dem ermordeten Kind aufsah, waren seine Augen tot wie Steine. Sein unsteter Blick ruhte kaum länger auf Mattias als auf dem Amboß und den Werkzeugen. Er grunzte eine Frage in einer fremden Sprache.
Mattias stand wie verloren in der Hitze der Esse, aber sein Herz war eiskalt und leer, aller Gefühle beraubt. Er suchte Zuflucht im Feuer, wo etwas, das er kannte, noch auf ihn wartete. Er drehte sich um und schaute auf seine Klinge. Er sah die Schneide, wie sie in der Haarfarbe seiner Mutter erblühte – einem feurigen Bronzeton, der über die Schrägen zum dunkelblauen Grat hinaufwuchs. Er spürte, wie ihm die letzte Härtung aus den Händen glitt und mit ihr all der Zauber, den sie im Morgengrauen gewirkt hatten. Fest griff er das Ricasso mit der Zange und zog die Klinge aus den Kohlen. Dann drehte er sich um.
Der Mörder war auf ihn zugekommen. Sein Gesicht war furchtlos, bis er sah, was Mattias in Händen hielt. Die Angst, die ihn durchzuckte, verriet seine Jugend, aber sie erwirkte ihm keine Gnade. Beinahe als hätte er einen eigenen Willen, stürzte sich der Dolch auf den Fremden. Den ersten Schritt taumelte Mattias mit bleischweren Beinen, den zweiten trieb schon eine Wut an, die ihm die Kehle zuschnürte. Mit dem dritten Schritt leitete blanker Haß Jungen und Dolch. Der Jüngling schrie in seiner fremdartigen Zunge auf, als Mattias ihm die Klinge in den Bauch rammte. Fleisch zischte auf Stahl, und der Gestank von brennender Wolle drang ihm in die Kehle. Der Mörder schrie auf, ließ sein Schwert fallen und packte die Klinge, schrie erneut auf und kreischte, als der rotglühende Heftdorn ihm die Handflächen verbrannte. Mit der linken Hand hielt Mattias ihm den Mund zu. Dann betete er: »Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui Iesus . «
Der Hals des Jünglings krampfte sich zusammen. Blut rann Mattias durch die Finger. Er umklammerte die Zange noch fester mit der anderen Hand und beendete sein Gebet.
»Heilige Maria, Muttergottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unsres Todes.«
Mattias spürte, wie etwas den anderen Körper verließ, so heimlich davonschlich, daß er bis ins Mark erschauerte, irgend etwas, das da gewesen war und nun verschwand. Der Junge sackte zusammen, die halb geschlossenen Augen wurden stumpf. Das war also der Tod.
Mattias sagte: »Amen . « Und er dachte: Die Härtung .
Er zog den Dolch heraus. Bis zum Ricasso rauchte die Klinge schwarz wie die Sünde. Er ließ die Leiche zusammensacken und schaute sie nicht noch einmal an. Verwirrung vernebelte ihm jeden Gedanken. Zwischen all dem fernen Hundegebell hörte er fremde Laute aus rauhen Kehlen und Schreckensschreie. Britta lag reglos auf der Türschwelle. Die Zange in seiner Hand begann zu zittern, seine Knie gaben nach. Ihm verschwamm alles vor Augen. Mattias wandte sich um, zur Esse, den Werkzeugen, demFeuer. Er wischte mit einem feuchten Tuch über die dampfende Klinge, aber die schwarze Färbung blieb. Irgendwie wußte er, daß diese Klinge auf immer schwarz bleiben würde. Der Stahl war noch zu heiß, als daß man ihn hätte anfassen können. Er tauchte das Tuch in kaltes Wasser und wickelte es um den Heftdorn. Dann hielt er inne.
Aus dem Tumult jenseits der Tür zur Schmiede hörte er eine Stimme heraus – näher als die anderen. Sie rief Gott an, aber nicht um Gnade. Vielmehr beschwor diese Stimme die Rache und den Zorn Gottes. Es war die erste Stimme, die Mattias je gehört hatte. Die Stimme seiner Mutter.
Mattias umklammerte den feuchten Griff. Die Hitze des Heftdorns war zu ertragen. Bei der letzten Härtung war dieser Dolch nicht mit dem reinsten Morgentau, sondern mit Mörderblut abgeschreckt worden, und so wie sich Schicksal und Zweck der Waffe anders als geplant entwickelt hatten, so hatte sich auch seines gewendet. Er suchte nach einem Gebet, aber seine Zunge blieb stumm. Etwas war aus seinem Inneren gerissen worden, von dessen Existenz er nichts gewußt hatte, bis die Lücke, die es hinterlassen hatte, ihn vor Schmerzen aufheulen ließ. Doch dieses Etwas war nun fort. Nicht einmal Gott würde es ihm wiedergeben können. Die Wut seiner Mutter erfüllte auch ihn. Seine Mutter hatte sich entschieden, in Wut zu sterben.
Der Junge trat in die Kälte hinaus. Vom schwarzen Dolch in seiner Faust stieg Dampf auf, als wäre Mattias wie ein
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