Das Sakrament
wollte.«
Orlandu dachte darüber nach. Vielleicht hatte Tannhäuser ihn unterschätzt, denn diese Antwort schien ihm zu genügen, zumindest fürs erste. Jedenfalls war die Aussage wahr. Orlandu sagte: »Wenn mein Vater falsch und schlecht war und wenn ich von seinem Blut abstamme, werde ich dann auch falsch und schlecht sein?«
»Ich habe es dir schon einmal gesagt. Nicht das Blut zählt, sondern die Art, wie wir durchs Leben gehen. Wir sind jetzt schon manche Meile miteinander gegangen, du und ich, und an dir ist nichts faul oder verderbt.«
Orlandu schwieg einen Moment. Dann sagte er: »Werden wir noch mehr Meilen miteinander gehen?«
Tannhäuser spürte, wie sich ihm das Herz zusammenkrampfte, denn er hätte gern gesagt: »Bis zum bitteren Ende.« Doch konnte er kein Versprechen abgeben, von dem er nicht sicher war, ob er es halten könnte. Er antwortete: »Wir werden sehen.«
Dann lächelte er, und der Junge lächelte auch.
Über der Hügelkuppe explodierten Feuerwerkskörper im Himmel, und die Glocken läuteten weiter. Tannhäuser deutete mit dem Kopf. »Auf nach Mdina, denn Carla wartet.« Da kam ihm ein Gedanke. »Hast du übrigens noch meinen Ring? Meinen goldenen Ring?«
Orlandu nickte. »Natürlich.«
Tannhäuser streckte die Hand aus. »Dann gib ihn mir. Ohne Gold am Körper fühle ich mich halb nackt.«
Carla saß in der trüben Finsternis der Casa Manduca. Trotz der Feiern auf den Straßen fühlte sie sich einsam und verlassen. Don Ignacio war tot. Man hatte ihn in der Gruft der Manduca in der Kathedrale von St. Paul begraben. Ein einziger Trauergast, der alte Verwalter Ruggiero, war dabeigewesen. Nun kümmerte er sich um sie. Ruggiero hatte sie um Verzeihung für Sünden und Verfehlungen gebeten, die lange Zeit zurücklagen, und sie hatte dieser Bitte gern und von ganzem Herzen entsprochen, denn zu viele Schrecken der Gegenwart hatten ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Er fiel auf die Knie und küßte ihr die Hände, und sie schickte ihn fort. Carla vergab auch ihrem Vater und war von Trauer erfüllt, weil er ohne Freunde und allein gestorben war. Ruggiero teilte ihr mit, daß das Haus und das Land ihres Vaters im Tal von Pawles, seine Anteile am Seehandel und sein Gold nun ihr gehörten. Diese Nachricht hatte sie überrascht, aber nicht weiter berührt.
Das Haus bedrückte sie. Die Gespenster derjenigen, die hier ihr Leben in freudlosem Elend verbracht hatten, spukten durch die Räume. Als der Tag zur Neige ging, begab sie sich in den ummauerten Garten und stand dort in den länger werdenden Schatten der Orangenbäume. Es war das Fest der Geburt der Seligen Jungfrau Maria, ein Samstag. Carla kniete auf dem Gras nieder und küßte das Kruzifix an ihrem Rosenkranz. Sie bekreuzigte sich und begann das Credo zu beten.
»Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenenSohn, unseren Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben. Er ist herabgestiegen in die Hölle, am dritten Tage auferstanden von den Toten. Er ist aufgefahren in den Himmel, sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Von dannen er kommen wird, Gericht zu halten über die Lebenden und die Toten.«
Sie hörte, wie sich knarrend die Tür zum Haus öffnete. Dann Schritte und ein Hüsteln im Garten hinter ihr. Sie bekreuzigte sich wieder und schaute über die Schulter. Sie hatte Ruggiero erwartet.
Mattias stand da.
Carla blieb beinahe das Herz stehen. Sie erhob sich. Seine Wangen waren von Erschöpfung gezeichnet. Etwas Namenloses und Angstvolles spukte in seinen Augen. Er kam den Weg entlang auf sie zu, und wie bei ihrer ersten Begegnung vor langer Zeit erinnerte er sie an einen Wolf. Sie eilte auf ihn zu, er breitete die Arme aus, und sie warf sich an seine Brust. Mattias hielt sie fest, während sie wieder zu Atem kam. So viele Fragen schwirrten ihr durch den Kopf, daß es ihr die Sprache verschlug.
»Ludovico und seine Kohorten sind tot«, sagte Mattias.
Carla fühlte nur Erleichterung. Dann sah sie Mattias’ Augen.
Er fuhr fort: »Bors auch. Und Nicodemus.« Er zögerte. »Und Amparo.«
Tränen traten ihr in die Augen. Mattias legte ihr einen Finger vor die Lippen.
»Bitte«, sagte er. »Es wird noch genug Zeit zum Trauern sein. Mir wäre jetzt ein Augenblick der Freude höchst willkommen. Trotz all dessen, was geschehen ist, bleibt uns viel
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