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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Negroli-Rüstung durch, und Ludovico schaute ihm dabei zu. Hier auf dem Berggrat wehte der Wind in heißen Böen.
    »Der Scirocco ist heiß«, sagte Tannhäuser. »Aber nachdem Ihr in diesem Stahl gekocht habt, wird es sich wie Frühling anfühlen.«
    Er klappte die Armschienen fort und entfernte die Schulterstücke. Dann hob er den großen schwarzen Brustpanzer ab und legte ihn zur Seite. Er riß die blutige Polsterung darunter ab, ohne daß Ludovico trotz seiner schweren Wunde einen einzigen Laut der Klage von sich gab. Unter der Rüstung trug der Inquisitor die schlichte schwarze Kutte der Ordensritter mit dem weißen achtzackigen Kreuz auf der Brust.
    »Besser?« fragte Tannhäuser.
    »Ich bin Euch dankbar.«
    Tannhäuser nahm den Stöpsel aus seiner Feldflasche und hielt sie Ludovico an die Lippen. Der Inquisitor trank zwei Schlucke und nickte dann. Tannhäuser trank ebenfalls.
    »Lebt der Großmeister?« erkundigte sich Ludovico.
    »La Valette lebt.«
    »Gut«, antwortete Ludovico. »Dann habe ich wenigstens das nicht auch noch auf dem Gewissen.«
    Tannhäuser betrachtete ihn. »Ihr seid nicht mehr der Mann, denn ich zuletzt bei der Guva gesehen habe.«
    Ludovico schaute ihn an. »Vielleicht hatte ich einen weisen Mann zum Feind.«
    »Ich denke, es war mehr als das nötig.«
    »Als ich auf dem Feld Orlandu sah«, meinte Ludovico, »als ich seinen Namen rief und er sich umdrehte und ich zum erstenmal sein Gesicht sah –« Er rang um Worte. Seine Schultern sankengegen den Felsen, und er schaute in den Himmel. »O Gott«, sagte er, »o mein Gott.«
    In diesen Worten lag ein Bedauern, das sich kaum fassen ließ. Tannhäuser wunderte sich, daß es ihn nicht umbrachte. Er meinte: »Das ist mir Antwort genug. Weiß Orlandu, wer Ihr seid?«
    »Nein.«
    »Warum habt Ihr es ihm nicht gesagt?«
    »Ich möchte Carla die Wahl lassen.«
    »Meint Ihr, sie würde lügen?«
    Ludovico atmete in kleinen, schnaufenden Stößen. Er verzog den Mund nicht, aber ein kleines Funkeln in den Augen ließ ein Lächeln durchblitzen.
    »Vielleicht hat sie einen weisen Mann zum Freund«, sagte er.
    »Ich wollte dem Jungen sagen, Ihr wäret ein Feigling und ein Verräter«, sagte Tannhäuser. »Aber das eine wäre gelogen, und in einer Welt, die so verkommen ist wie unsere – welcher Mann ist da kein Verräter an seinen eigenen Versprechen?«
    »Sagt Carla, daß es mir leid tut.«
    »Ich weiß«, antwortete Tannhäuser. »Ich werde es tun.«
    Ludovico blinzelte. »Ich wollte nicht, daß Amparo stirbt.«
    Tannhäuser musterte ihn. Dann sagte er: »Das wußte ich auch.«
    »Ich wüßte gern, ob Gott mir vergeben wird.«
    »Christus wird Euch vergeben.«
    »Ihr sprecht von Christus, endlich?«
    Tannhäuser lächelte. »Eine Religion, die einen Platz für den guten Dieb hat, bietet einiges für Leute von meinem Schlag.«
    Ludovicos Augen schienen ihn zu durchbohren, und einen Augenblick lang war er wieder der Inquisitor aus alten Zeiten, der Mann, der die versteckten Wahrheiten der anderen herausfinden wollte. Er sagte: »Dann hat sich auch für Euch seit der Guva einiges geändert.«
    »Ihr habt mir in Messina gesagt, daß das Leid die Tore zur Gnade Gottes öffnet, und gefragt, welcher Mensch dann davor zurückschrecken würde.«
    Ludovicos Augen wanderten, als wollte er sich an dieses längst vergangene Gespräch erinnern.
    »Das waren nur Worte«, meinte er, »gelehrte Worte.«
    »Manchmal werden diese Worte im Leben Fleisch«, erwiderte Tannhäuser.
    Ludovico nickte. Er legte seine Handflächen an die Brust und atmete tief ein. Er versuchte zu lächeln und schaute zu Tannhäuser auf. Ihre Augen trafen sich über die ungeheure Kluft hinweg, die sie getrennt hatte. Ludovico hatte seinen Frieden gefunden.
    »Ihr hattet recht«, sagte Ludovico. »Es fühlt sich an wie Frühling.«
    Tannhäuser stach ihm ins Herz, und Ludovico starb sofort.
    Die in Teufelsblut geschmiedete Klinge hatte ihre Bestimmung gefunden.
    Tannhäuser ließ den kostbaren Griff los. Dann nahm er Ludovico auf die Arme und trug ihn zu einem brusthohen türkischen Graben. Dort rollte er ihn in eine Plane, die er von einem verlassenen Pulvermagazin nahm. Er bedeckte den Leichnam mit Holz und Felsbrocken. Er ließ keine Kennzeichen da, nur den Dolch, der Ludovico im Herzen steckte. Dann kletterte er wieder zum Pfad hinauf. Er packte die Negroli-Rüstung zusammen und band sie an den Sattel von Ludovicos Pferd. Als er aufsteigen wollte, tauchten hinter der Hügelkuppe der

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