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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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zurückgebracht. Sie legten den Leichnam meines Sohnes Ekkehard, eures Vaters, genau auf die Grenzmarkierung.«
    Niemand wagte zu sprechen, bis Agnes fragte:
    »Und Mutter?«
    »Sie war verwirrt in ihrem Geist. Ehe der Gram sie ebenfalls dahinraffte, sprach sie wie eine Seherin ständig von einem anderen Sohn eures Vaters, der zu uns kommen würde, wenn Mars sein Feuer über den Menschen ausgießt ...«
    Guntram blickte zu Boden. Mühsam versuchte er, seine widerstreitenden Gefühle zu bändigen. Seit Meister Wolfram vor vier Jahren damit begonnen hatte, ihn in die Geheimnisse der Alchimie einzuweisen, hatte er viel über die alten Weisheiten gelernt. Sie hatten nichts mit Magie und Zauberei zu tun. Aber nur Eingeweihte konnten verstehen, daß hinter den Zeichen, Symbolen und Riten eine ungeheuer komplizierte und doch ganz einfache Erklärung für das Zusammenspiel der sichtbaren und unsichtbaren Dinge stand: so unbegreiflich und gleichzeitig in sich geschlossen, wie das Universum selbst ....
    Guntram wußte, daß Meister Wolfram Gold machen konnte, doch selbst die Transmutation von Quecksilber in Gold war nur ein geringer Teil der eigentlichen Geheimnisse!
    Seit er denken konnte, kannte er die drei großen Tabus seines Volkes, über die man nicht sprach: der Grund für ihre Existenz, die Entwicklung der Weltlichen und jene Menschen auf der anderen Seite des Kathedralendaches, die fast so waren wie sie selbst.
    Einige Tage vor der Nacht des »weißen Feuers« hatte Meister Albrecht, der ohne Familie als Weltwächter im Sakriversum lebte, berichtet, daß auffällig viele Bankerts in der Stadt eingetroffen waren. Einige sollten sogar den Weg nach oben genommen haben ...
    Guntram entschloß sich, ein Tabu zu brechen.
    »Wer sind die Bankerts ?« fragte er.
    Die Angehörigen der Alchimisten-Familie fuhren erschreckt zusammen. Nur Meister Wolfram sah seinen Enkel lange prüfend an.
    »Warum willst du das wissen?«
    Guntram hob die Schultern. Er strich sich über die Schläfen und griff unter sein weiches, nußbraunes Haar, das mit einer Innenrolle auf seine Schultern fiel. Er blickte zu Agnes. Sie sahen sich viel ähnlicher als andere Geschwister in den Familien. Obwohl sie keine Zwillinge waren, hatten sie die gleiche hohe Stirn, den gleichen Nasenschwung und die gleichen vollen Lippen. Nur an ihren Haaren und Augen unterschieden sie sich.
    Agnes hatte grünliche Augen mit einem dunklen Rand um die Iris, während Guntram das Zeichen der Logenmeister trug: ein graues und ein hellblaues Auge ...
    Noch vor der Flucht in die Bleikeller waren sie dazu bestimmt worden, zusammen mit einigen anderen Geschwisterpaaren zur Mittsommernacht zu heiraten.
    Guntram sah, wie seine Tante Mathilda verstohlen zu Meister Wolfram ging. Sie holte einen kleinen Lederbeutel unter ihrer bunten Schürze hervor. Vorsichtig legte sie den Beutel an die Lippen des Clan-Chefs und ließ ihn die letzten, sorgsam gehüteten Tropfen saurer Schafsmilch trinken.
    »Danke, Mathilda!«
    Meister Wolfram schloß die Augen. Er schien vergessen zu haben, was Guntram und Agnes wollten.
    »Die Bankerts! « sagte er plötzlich. Er holte tief Luft. »Ich weiß nicht, ob sie es besser oder schlechter getroffen haben als wir. Wir mußten siebenhundert Jahre mit einem Fluch leben, aber wir wußten wenigstens, wer unsere Vorfahren sind! Als Nachkommen des Kathedralen-Baumeisters ist es unser Recht, im Sakriversum zu leben. Er hat die Zuflucht unter dem Dach für uns gebaut, während die Bankerts von Anfang an nur geduldete Sühnezeichen waren: eine Rasse von Findelkindern ohne Stammbaum und ohne Familiensinn ...«
    Der alte Mann hustete leise. Er hatte viel zu lange gesprochen. Mathilda setzte sich neben ihn. Sie streichelte seine welken Hände. Sie und ihr Bruder Hanns waren es gewesen, die Guntram und Agnes nach dem Tod ihrer Eltern aufgezogen hatten. Ihr eigener Sohn Ludolf war während des langen Abstiegs in eine Mauerspalte gestürzt und qualvoll gestorben.
    Mathilda hatte Guntram und Agnes immer wie eigene Kinder betrachtet. Doch jetzt war plötzlich alles anders.
    »Warum quält ihr Meister Wolfram noch?« fragte sie böse. »Ist denn noch nicht genug geschehen? Warum müßt ihr uns durch eine Hoffnung blenden, die dann doch keine ist?«
    »Wir wollen nicht sterben«, sagte Agnes leise.
    »Ich kenne euch! Du hast immer zu Guntram gehalten, ganz gleich, was er angestellt hat ...«
    »Er ist mein Bruder!«
    »Die Kinder Ekkehards!« fauchte Mathilda.
    Meister

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