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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Anfang machen ...«
    Wolfram schüttelte den Kopf. Die anderen Mitglieder seiner Familie murmelten. Jeder hatte eine andere Meinung. Sie drängten sich auf dem obersten der pyramidenartig übereinandergestapelten, immer kleineren Bohlentische zusammen, bei denen jede höhere Ebene jeweils zum Ende einer Flucht gezimmert worden war.
    Das Licht der Kerze reichte nicht aus, um den eigentlichen Fußboden der Gruft zu erhellen. Sie wußten, daß in den Kammern des Bleikellers noch andere Familien warteten. In den ersten Wochen hatten sie sich gegenseitig besucht, doch dann waren die Begegnungen immer seltener geworden.
    »Wir sind längst zu schwach für eine Rückkehr ins Sakriversum«, sagte Meister Wolfram. »Niemand weiß, wie es oben aussieht. Das Bleidach der Kathedrale wird unsere Felder und Gärten geschützt haben, aber diesmal ist ein Pesthauch in der Luft, der alles, was jetzt noch leben sollte, auf grauenhafte Weise töten wird!«
    »Trotzdem könnten wir es versuchen ...«
    Wolfram schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß, daß sich die Jugend stets gegen die Weisheit der Alten durchsetzen will. Aber das Oberste von allem ist das Gesetz!«
    »Sagt das Gesetz nicht, daß wir den Wein der Letzten Gnade erst dann trinken sollen, wenn keiner von uns noch eine Hoffnung hat!«
    »Es gibt keine Hoffnung mehr ...«
    »Doch!« Guntram räusperte sich. »Agnes und ich wollen noch nicht sterben. Es ist das Jahr, in dem wir beide eine neue Familie gründen sollten. Wir haben auch darüber gesprochen ...« Er sah Agnes mit einem leisen Lächeln an. Sie senkte den Kopf. Ein scheues Rot flog über ihre Wangen.
    »Ihr seid die Kinder meines Sohnes Ekkehard und meiner Tochter Uta. Ich weiß, daß ihr das wilde Blut geerbt habt, das diese beiden einst veranlaßte, den Frieden unseres Dorfes im Sakriversum zu verlassen.«
    Guntram drückte Agnes’ Hand. Erzählte ihnen Meister Wolfram nun, was immer ein Tabu für sie gewesen war?
    »Du warst vier Jahre alt, Guntram«, sagte der Clan-Chef der Alchimisten-Familie. »Und du, meine Enkeltochter, gerade zwei, als eure Eltern nach der Entdeckung eines frevelhaften Tuns beschlossen, mit euch zu den Weltlichen zu fliehen ...«
    »Aber warum?« hauchte Agnes verwirrt.
    »Ekkehard und Uta hatten heimlich die Schriften und die Sprache der Weltlichen gelernt!«
    Guntram spürte, wie plötzlich ein kalter Schauder durch seinen Körper raste. Ihm wurde heiß, dann wieder fiebrig-kalt. Das also war es gewesen! Und genau das Gleiche hatten er und Agnes getan! Er erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem Agnes ihm die kleine, geschnitzte Holzpuppe gezeigt hatte, in deren hohlen Gliedmaßen sie winzige, zusammengerollte Papierfetzen gefunden hatten. Erst sehr viel später und nach langen Stunden, in denen sie in verschiedenen Verstecken mit ihrem Kind gespielt hatten, war ihnen aufgegangen, daß sie von ihren Eltern ein Vermächtnis erhalten hatten, von dem kein anderer im Sakriversum wissen durfte ...
    Die Papierröllchen in den Gliedern der Puppe und in ihrem Bauch waren etwas Ähnliches wie das sagenumwobene Testament des Baumeisters, der die Pläne für den Bau der großen Kathedrale vor mehr als siebenhundert Jahren auf höchst geniale und geheime Weise aus einem ganz bestimmten Grund verändert hatte.
    »Nicht alle haben immer verstanden, warum es ungeschriebene Gesetze gibt«, sagte Meister Wolfram, dem wohl als Einzigem nicht entgangen war, wie betroffen Guntram und Agnes reagiert hatten. »Deshalb will ich euch beiden sagen, wie es mit euren Eltern weiterging. Hört und entscheidet dann, ob ihr mit uns sterben oder das Gesetz brechen wollt ...«
    Ein dumpfes Raunen ging durch die stehenden und auf dem Bohlentisch kauernden Familienmitglieder. Sie waren nur noch elf, seit eines der Kinder beim Abstieg verunglückt war.
    Der Rest der Kerze auf dem Tisch vor Meister Wolfram blakte.
    »Ekkehard und Uta kamen vor zwölf Jahren nur bis zur Nordseite des Kathedralendachs«, erzählte der alte Mann. »Sie flohen nachts bis zur Teufelsmauer, die unsere Welt von der anderen Seite trennt. Natürlich wußten sie, daß auch dort Menschen leben, die so ähnlich sind, wie wir, aber eben nur ähnlich und nicht gleich ...«
    Meister Wolfram hustete leise. Die Flamme der Kerze wankte, als das kurz gewordene Ende des Dochtes umfiel.
    »In der ersten Vollmondnacht nach ihrer Flucht wurden eure Eltern von den schrecklichen Bankerts , die so lange wie wir auf der anderen Seite hausen, zur Teufelsmauer

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