Das Salz der Mörder
berichtet. Wo haben sie Ihre Spritzen? Und Li-tai hat
sogar ihre eigenen Injektionsnadeln dabei.“
Doktor
Sebastiãno begann herzergreifend zu lachen. Auch Li-tai, die tief in einer Ecke
des breiten Ledersofas saß, hielt sich die Hand vor den Mund und lächelte mich
schüchtern an.
„Aber,
Nicos, wir unterhalten uns über die zweitausendfünfhundert Jahre alte Kunst der
chinesischen Akupunktur, über die zentrale Bedeutung des weiblichen Yin und des
männlichen Yang und über Li-tais Erfahrungen darüber. Ja, sie hat ihre
Akupunkturnadeln immer dabei und scheint eine ganze Menge davon zu verstehen.
Ich bin da nur ein kleiner Waisenknabe. Zeigen Sie unserem alten Nicos Ihre
Nadelkollektion, Li-tai, sonst denkt er wirklich noch wir wollten sein Haus in
eine Drogenhöhle verwandeln. Und Sie, Papandreou, wenn Sie schon hinter meinem
Rücken heimlich Martini für Ihren Herrn stehlen und dadurch gegen meine
ärztlichen Anweisungen verstoßen, nebenbei noch spionieren und davon nichts
verstehen. Ihnen, mein lieber Papandreou, werde ich bei nächsten Mal gewaltig
in Ihren lahmen Hintern treten! Wie können Sie unseren Patienten nur einen
solchen Schrecken einjagen.“
Ich
setzte mich neben Li-tai und ließ mir von Papandreou provokativ meinen
Oliven-Martini reichen. Nach einer knappen Verbeugung schlich mein guter, alter
Diener mit eingezogenem Kopf und hochgezogenen Schultern aus dem Zimmer. Das
mit dem lahmen Hintern, wird mein alter Papandreou unserem Doktor bestimmt sehr
Übelnehmen.
Genüsslich
trank ich einen kräftigen Schluck Wermut. Dann stellte ich das geschliffene
Glas sacht auf den kleinen Rauchtisch neben mir und blickte mit hochgezogener
Stirn und zur Seite geneigten Blick zu meinem Arzt.
„Dass
Ihnen der Martini gut bekommt, Nicos“, brach der Doktor schmunzelnd das kurze
Schweigen, „weiß ich. Um Sie weiter zu beruhigen, darf ich sagen, dass wir,
Li-tai und ich, uns nicht nur über Traditionelle Chinesische Medizin
unterhalten haben. Li-tai erzählte auch ziemlich ausführlich über ihren Besuch
hier, die herrliche Woche auf dem Meer und den gestrigen Vorfall. Nicht wahr,
Li-tai?“
„Ja,
Doktor“, erwiderte sie leise, „aber reden Sie nur weiter.“
„Nach
allem, was Li-tai berichtete, habe ich mir erlaubt von Ihrem Apparat aus meinen
Rechtsanwalt anzurufen. Er wird in Kürze eintreffen. Bis dahin genehmige ich
Ihnen noch ein halbes Glas zusätzlich, Nicos.“
„Vielen
Dank, Doktor. Wir werden uns also die Zeit etwas vertreiben müssen.“ Ich gab
ihm den Hefter mit Teds Manuskript, den ich immer noch in meiner Hand hielt.
„Ich
schlage deshalb eine kleine Dichterlesung vor. Da aber unser Dichter aus bisher
noch ungeklärten Gründen zurzeit nicht unter uns weilen kann, werden Sie seine
Rolle übernehmen, Sebastiãno, einverstanden? Sie sind der Dichter Ted Berliner
und wir beide Ihr begeistertes Publikum. Es wird Sie sicher auch interessieren,
was unser Ted in seinem Werk von sich gibt. Mit Bestimmtheit erfahren wir auch
eine ganze Menge über die Umstände, die den gestrigen Verhaftungen
vorausgegangen sein müssen.“
„Das
ist eine sehr gute Idee, Nicos. Wenn alles der Wahrheit entspricht, was hier
drinnen geschrieben steht, wäre es da nicht besser mit Vorlesung zu warten bis
der Anwalt eingetroffen ist? Ich würde auch Gaby und Maria und die Großeltern
Buchwald dazu einladen. Für eventuelle Rückfragen. Was meinen Sie, Nicos?“
Ich
nickte, denn ich war vollkommen seiner Meinung.
„Doch
hören Sie, Nicos“, fügte Sebastiãno ernst hinzu. „Ich habe schwere Bedenken
über Ihren Zustand. Sie sollten sich nicht überschätzen, auch wenn Sie sich
jetzt sehr stark fühlen. Lassen sie mich noch einmal Ihren Blutdruck messen,
und dann werden wir sehen, okay?“
„Okay.
Wenn es denn sein muss, dann messen Sie.“
(Hier
brechen die „Anmerkungen eines väterlichen Freundes“ ab. Wie unser Verlag bei
der Übergabe des Manuskripts für das Ihnen hier vorliegende Buch in Erfahrung
brachte, verstarb der griechische Reeder Nicos Psorakis zwei Wochen nach
der Verhaftung des Manfred Wegner an Herzversagen. Gabriele Wegner, die Tochter
des Autors von „Das Salz der Mörder“, berichtete unserer Redaktion, dass ihre
Eltern von den brasilianischen Behörden nicht nach Deutschland ausgeliefert
wurden, da Herr Wegner einen Sohn – Steven Wegner – hat, der in Brasilien zur
Welt kam und dessen Mutter Maria mit den Wegners in einem familienähnlichen
Verhältnis zusammenlebt.
Weitere Kostenlose Bücher