Das Salz der Mörder
pluralistischen
Gesellschaft? Ich weiß es nicht. Mir ist nicht klar, an wen ich mehr zweifeln
soll: an mir selbst oder an all den anderen?
Wenn
meine Frau und ich auf unserer kühlen Terrasse unter dem summenden Deckenventilator
sitzen und bei Carapinhada und Salzgebäck im Dämmerlicht auf den einschlafenden
Atlantik blicken, reden wir oft über unsere Vergangenheit, die Vergangenheit
der Familie Wegner. Dann ziehen Zeile für Zeile, Seite für Seite beschriebenes
Papier an uns vorüber; ein Manuskript ist entstanden, ein wirkliches Buch liegt
in unseren Händen – eine gelebte Geschichte.
Und
wie Ihnen bekannt ist, nachdem die Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit
mit allen deutschsprachigen Rundfunk- und Fernsehanstalten zu einer
großangelegten Spendenaktion unter dem Motto „Rettet das Leben von Gabriele und
Daniel Wegner“ aufrief, man die eingehenden Spendengelder wöchentlich
äquivalent zum Dollarkurs auf mein Schweizer Konto überwies und sich meine Frau
nach Zahlung der Restsumme durch die Deutsche Bundesbank aus Deutschland
absetzte, erweiterte der leitende Staatsanwalt Dr. Schmid-Mertens seine
Anklage. Das Verschwinden von
Vroni
wurde logischerweise öffentlich bekannt, es kam zu einer Regierungskrise und
die christlich-liberale Koalition brach nach einem Misstrauensvotum kläglich
auseinander . . .
1. Fahrt in den Norden
„Fahr
vorsichtig! Und ruf mich an, von unterwegs“, flüsterte sie nach dem flüchtigen
Abschiedskuss durch das halb geöffnete Wagenfenster. Ich startete. Beiläufig
sah ich auf die Tankanzeige.
Münchens
Innenstadt war an diesem Samstagabend völlig verstopft. Nichts ging mehr. Den
Grund dafür erfuhr ich später aus dem Autoradio: Rund 3,1 Millionen Arbeiter
und Angestellte der Gewerkschaft „Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr“
begannen ihren angedrohten Warnstreik, um fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt zu
erkämpfen. Ausgerechnet an diesem Wochenende - verdammter Mist! Was ging mich
das alles an? 1997, drei Jahre vor dem Millennium, der Jahrtausendwende. Und
tanken musste ich auch noch.
Über
Umwege erreichte ich die Auffahrt zur A 9. Es war bereits dunkel und kaum
Verkehr auf der Autobahn, genau wie ich es mir gedacht hatte. Jetzt trat ich
aufs Gaspedal. Durch das Altmühltal in Richtung Nürnberg. Spurwechsel zur A 3.
Dann Würzburg, die lange Strecke auf der A 7. Vorbei an Kassel und Hannover. Im
Elbtunnel war kein Stau. Hinter mir schlief halb Hamburg. Abzweig A 23, und
nach all den Stunden ununterbrochener Fahrt passierte ich endlich die
schleswig-holsteinische Landesgrenze. Die Reiseroute schlummerte seit langem in
meinem Kopf. Noch wenige Kilometer: Itzehoe auf der B 5 umfahren. Der lang
ersehnte Urlaub rückte zusehends näher - ich fuhr ihm entgegen. Abfahrt bei
Heide. Die Landstraße verlief schnurgerade in Richtung Norden. Im nächtlichen
Dunkel konnte ich die baumlose Ebene nur erahnen: Äcker über Äcker mit buschbestandenen
Feldrainen. In der Ferne schimmerten vereinzelt die schlaflosen Lichter
kleiner, friesischer Dörfer.
Der
süße Duft der Felder schwebte durch die erfrischende Morgendämmerung und der
zwitschernde Gesang der erwachenden Vögel begrüßte mich mit einer fröhlichen
Willkommensmelodie.
Einige
Kilometer hinter dem Eidersperrwerk musste ich wegen einer Umleitung stoppen.
Ich knipste das Licht im Wagen an und suchte nach meinem Autoatlas, der
mittlerweile unter den Beifahrersitz gerutscht war. Ich schlug ihn auf. Mit
meinem Zeigefinger verfolgte ich die Fahrstrecke bis Sankt Peter-Ording. Noch
zwanzig Kilometer und ich hätte mein Ziel erreicht. Allerdings, den nach links
abbiegenden Waldweg, den fand ich nicht in diesem Planquadrat. Vertrauend auf
die hiesigen Straßenbehörden, folgte ich der Anweisung auf dem Schild und bog
in die angegebene Richtung ein.
Nach
einem halben Kilometer holpriger Fahrt durch dicht bewachsenen Mischwald und
über ausgespülte Baumwurzeln, gerade in dem Augenblick, in dem die aufgehende
Sonne von hinten in meinem Rückspiegel reflektierte, schien es mir, als ob in
einem Abstand von etwa fünf Meter - rechts auf halber Höhe - vor mir ein Licht
aufblitzte. Da man in solch einem unwegsamen Gelände bloß im Schritttempo
fahren kann, konnte es wohl kaum eine morgendliche Geschwindigkeitskontrolle
gewesen sein. Übermüdet, wie ich war, vergaß ich den Vorfall jedoch wieder.
Endlich
kam ich auf eine gepflasterte Straße. Durch das Unterholz erblickte ich mehrere
Häuser.
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