Das scharze Decameron
Räuberhauptmann hatte es am Morgen in der Eile unterlassen, gründlich zu speisen, hatte das vielmehr für die lange Zeit in der Höhle aufgespart. Außerdem lag er schon lange Zeit unter den wertvollen dicken Decken, und so ward ihm schwül und er hatte Durst und Hunger. Als der Priester nun laut und vernehmlich neben ihm eine Zeit gegessen und getrunken und die Trefflichkeit der Speisen gelobt hatte, konnte er sich nicht mehr versagen, einmal laut zu seufzen. Als er derart laut seufzte, setzte der Priester die Flasche, die er gerade zum Munde geführt hatte, ab und sagte: »Dieser Tote seufzt anscheinend über den schlimmen Lebenswandel, den er geführt hat. Wenn dem so ist, werde ich mehrere Tage an seiner Bahre lesen müssen, um ihm den Frieden im Jenseits zu erwirken. Es ist gut, daß die Leute so viel Speise und Trank hereingesetzt haben, daß es einige Tage für mich reicht!« Dann trank der Priester wieder.
Der Räuberhauptmann dachte: »Was? Dieser Priester will mehrere Tage hier bleiben? Dann werde ich vor Hunger und Durst sterben! Das ist unmöglich!« Der Räuberhauptmann erschrak. Der Räuberhauptmann warf die dicken wertvollen Stoffe von sich und richtete sich auf. Der Priester sagte: »Oho! Der Tote bewegt sich. Er muß eine große, schlimme Sache begangen haben, daß er nicht Ruhe im Tode finden kann. Sage mir, Toter, was dich bedrängt!« Der Räuberhauptmann fühlte nach der Bewegung die Schmerzen in den Gliedern. Er sagte: »Wie das schmerzt! Gib mir zu trinken!« Der Priester sagte: »Was schmerzt dich? Sage mir, Toter, was dich bedrängt! Denke, daß ich ein Priester bin.«
Der Räuberhauptmann sagte: »Ein Armer, den ich bestahl, schlug mich mit einem Ochsenschwanz!« Said riß den Ochsenschwanz unter dem Priesterkleid hervor und sagte: »Etwa mit dem da?« Als der Räuberhauptmann das sah, schrie er vor Angst auf. Said aber zog ihm einige harte Schläge über. Er sagte: »Hast du mich heute morgen nicht etwa wieder beschimpft? Nennst du diesen Betrug vielleicht den Anfang eines ehrlichen Lebenswandels?« Darauf stürzte der Räuberhauptmann vor Said auf die Knie und sagte: »Nimm mich mit dir. Teile mit mir alles, was ich habe und lehre mich einen ehrlichen Lebenswandel!«
Darauf hob Said den Räuberhauptmann auf. Er legte den Ochsenschwanz beiseite, führte ihn zu seinem Angareb und reichte ihm Speise und Trank. Dann rief er Leute aus der Nachbarschaft, die den Räuberhauptmann und alle seine Schätze in Saids Behausung trugen, so daß die Räuber, als sie abends zurückkamen, die Höhle leer und verlassen fanden. Der Räuberhauptmann ward von Said verbunden und von ihm und seiner Frau gepflegt, bis er gesund war. Said gründete mit ihm einen Handel und gewann ihn mehr und mehr zum Freund. Sie hatten sich zuletzt so aneinander gewöhnt, daß sie beide gemeinsam im hohen Greisenalter an einem Tage starben.
Räuber unter sich
Kordofan
Ein Harami (Räuber, Dieb) wurde häufig bei seinen Unternehmungen ergriffen und dann jedesmal drei oder vier Monate eingesperrt. Zuletzt wurde der Harami ganz traurig und sagte: »Bei dieser Sache kommt für mich nichts Gutes mehr heraus. Ich werde also das, was ich als Harami gelernt habe, in einem andern Beruf auszunutzen versuchen und werde ein Segelboot mieten. Auf den Segelbooten wird viel geraubt, und nun wird es sich ja zeigen, ob ich das, was ich als Räuber zum besten meiner Erwerbungen lernte, zur Erhaltung des Gutes anderer und somit zur Ernährung in anderer Weise nützlich anwenden kann.«
Der frühere Harami kaufte sich also ein Segelboot. Ein Kaufmann gab ihm viele Gefäße mit Butter, daß er sie weit weg auf dem Nil an einem fernen Hafenort abliefere. Der neue Raïs (Kapitän) belud sein Schiff und fuhr dann ab. Eines Nachts schliefen alle Leute des Raïs, nur er allein nicht. Es kamen fünf Harami. Die Harami besahen das Schiff und sahen nach allen Leuten. Der Schech der Harami sagte: »Die Leute schlafen alle. Wir können uns an die Arbeit machen.« Der Raïs dachte: »Nun werde ich sehen, ob ich etwas gelernt habe « Der Raïs stellte sich auch schlafend.
Die Räuber stiegen also in das Schiff, hoben geräuschlos eine ganze Reihe Butterfässer heraus und trugen sie ans Land. Mit den fünf Lasten machten sie sich dann auf den Weg nach dem Hause ihres Hauptmanns. Der Raïs aber folgte ihnen leise, und als der Räuberhauptmann aufgeschlossen hatte und alle hineingingen, folgte er ihnen. Die Räuber stellten ihre Lasten nieder und gingen
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