Das scharze Decameron
vorbeikommt. Unter mein Kopfkissen legt aber den Beutel mit Edelsteinen, den wir als Preis für den Listigsten unter uns ausgewählt haben und der mir hier im Hause jetzt nicht sicher genug scheint.« Die Leute taten wie befohlen. Sie brachten den Räuberhauptmann auf seinem Angareb weit hinaus, stellten das Lager mit dem Kranken unter den einsamen Palmen auf und legten ihm den Beutel mit Edelsteinen unter den Kopf.
Die Frau Saids ging aber heim und erzählte ihrem Manne alles. Said ging darauf zu einem Freunde, der Schafhirt war, und sagte: »Leih mir nur heute für diesen Tag deine Kleider, deine Herde und deine Arbeit. Heute abend will ich dir alles wiedergeben und außerdem noch für ein gutes Geschenk sorgen.« Der Freund war damit einverstanden. Said nahm die Kleider des andern, band den Ochsenschwanz unter und trieb dann seine Herde dahin, wo der Räuberhauptmann auf dem Angareb unter den Palmen lag.
Als Said in die Nähe des Räuberhauptmanns kam, hörte er jenen wimmern. Said aber tat so, als ob er es nicht hörte. Er ging langsam mit der Herde weiter und sang: »Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die die blutenden Wunden der Liebe heilen! Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die die klaffenden Wunden der Faris (Krieger) heilen! Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die den Schmerz der sterbenden Könige stillen!« Der Räuberhauptmann hörte den Gesang. Der Räuberhauptmann rief: »Du, Hirte, komm! Raï (Hirte), komm doch!« Said tat so, als ob er es nicht höre; er ging hinter seiner Herde her und sang: »Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die die blutenden Wunden der Liebe heilen! Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die die klaffenden Wunden der Faris heilen! Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die den Schmerz der sterbenden Könige stillen!« Der Räuberhauptmann schrie: »Raï! Raï, so komm doch!« Said sagte: »Wer ruft da?« Der Räuberhauptmann sagte: »Komm hierher unter die Palmen!« Said sagte: »Ich fürchte mich!« Der Räuberhauptmann sagte: »Wie kannst du dich vor mir krankem Manne fürchten, wo du jung und stark, ich aber elend und zerschlagen bin!«
Said kam näher und sagte: »Was willst du? Ich kann meine Herde nicht lange allein lassen!« Der Räuberhauptmann sagte: »Ich bin zerschlagen. Ich bin ganz wund. Kannst du mir Kräuter auf die Wunden legen, daß sie heilen?« Said sagte: »Herr, ich bin jung und unerfahren.« Der Räuberhauptmann sagte: »Du hast selbst eben anders gesungen. Hilf mir. Es soll dir auch vergütet werden.« Said sagte: »Ich kann nur die rechten Kräuter bringen, wenn ich weiß, wie du zu den Wunden kamst.« Der Räuberhauptmann sagte: »Das kann ich dir nicht sagen.« Said sagte: »Siehst du, ich wußte, daß ich dir nicht helfen kann, weil du kein Vertrauen zu mir haben kannst, wo ich so jung bin.« Said wandte sich ab.
Der Räuberhauptmann rief hinter Said her: »Raï, bleib! Ich will dir alles erzählen. Ich hatte einem armen Manne einen Ochsen weggenommen; da hat er mich zweimal mit einem Ochsenschwanz geschlagen.« Said riß seinen Ochsenschwanz heraus und sagte: »Mit einem solchen?« Der Räuberhauptmann schrie: »Er ist es wieder. Nun muß ich sterben!« Said aber schlug heftig auf den Räuberhauptmann ein und brachte ihm eine große Reihe guter Schläge bei. Der Räuberhauptmann schrie zuletzt: »Laß sein! Laß sein! Nimm mir, was du willst, aber laß mich am Leben. Ich habe dir schon all deine Ochsenherden bezahlt, was willst du noch mehr!«
Said sagte: »Was ich noch mehr will? Vor allem, daß du nicht hinter mir herschimpfst, wenn ich gehe; dann, daß du zu einem ehrlichen Lebenswandel zurückkehrst, und endlich den Preis, den ihr für den Listigsten unter euch ausgesetzt habt.« Der Räuberhauptmann stöhnte. Er sah aber den Ochsenschwanz, zog also den Beutel mit Edelsteinen hervor und sagte: »Du bist wirklich der Listigste. Willst du mich nun aber in Frieden lassen?« Said nahm den Beutel und sagte: »Wenn du nicht mehr hinter mir schimpfst und zu einem ehrlichen Lebenswandel zurückkehrst, habe ich nichts mehr mit dir zu tun.« Danach band Said seinen Ochsenschwanz um, steckte den Beutel mit Edelsteinen in die Kleider und trieb seine Herde wieder nach Hause.
Erst brachte Said seinem Freund die Herde zurück, danach brachte er seiner Frau den Sack mit Edelsteinen und sagte: »Nun gehe morgen noch einmal hin, höre, was es gibt und berichte mir. Wenn der Räuberhauptmann jetzt noch einmal abgestraft wird, dürfte es
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