Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
Löse das Pfand aus. Es gehört ihr.»
«Es ist nett von dir, an deine Nichte zu denken.» Die Veilchen verströmten einen intensiven Duft, und auf einmal stand ich wieder in Mawton in dem blauen Gemach und beobachtete Carinna, die mit tränenüberströmtem Gesicht Veilchenpastillen kaute. Damals hatte ein Brief auf dem Bett gelegen, aus London. Wir alle hatten geglaubt, er sei von Sir Geoffrey. Doch wenn ich all die Jahre zurückschaute und an ihre Tränen dachte, muss der Brief wohl doch von ihrem Liebhaber geschrieben worden sein. Sie hatte versucht, darauf zu antworten, sie hatte nach Worten gesucht, um ihm ihre Liebe zu gestehen. Hatte von der «Hitze des Feuers», «leichtsinnigem Makel» und einem «Leben ohne jedes Glück» geschrieben … Und dann hatte sie alles durchgestrichen, damit keine andere Seele dieses unaussprechliche Geständnis je zu Gesicht bekam.
«Sie ist nicht meine Nichte.» Mit schmerzverzerrtem Gesicht wandte Kitt sich von mir ab und drehte das Gesicht zur Wand. Ich hörte ihn die Wahrheit aussprechen, obwohl ich wünschte, ich hätte sie nie erfahren. «Meine Tochter.»
Weihnachten ist hier anders. Die Katholiken haben eine Krippe und geschnitzte Holzfiguren, die von Kerzen beschienen werden. Mein Mann verschönert die Krippe immer mit Süßigkeiten, mit gesponnenem Zucker und Bonbons. Es sah recht hübsch aus, aber in diesem Jahr fehlten mir der Tanz und das Zechen, wie ich es aus England kannte. Das süße Vergessen, das Küsse und all der Schabernack mit sich brachten. Hier versammelten wir uns an Heiligabend zum Gebet, und mein Mann servierte feinen Fisch zum Abendessen und feine
panforte
mit Ingwer. Das alles schmeckte herrlich, aber es ist nicht das Weihnachten, wie ich es kenne.
Am Weihnachtsmorgen war ich schon um fünf Uhr auf und machte das Feuer heiß wie in einem Schmelzofen. Ich backte meine Mince Pies und kochte Plumpudding, der so groß war wie eine Kanonenkugel. Außerdem drehten sich alsbald drei Braten über dem Feuer. Schon bald atmete ich wieder die Düfte ein, die für mich den Inbegriff der Weihnacht ausmachten. Die Arbeit eines ganzen Jahres lag hinter mir, und jetzt war der richtige Moment gekommen zu schmausen. Der Duft von Orangen, Bonbons und Gewürznelken vermischte sich mit dem von gebratenem Fleisch. Die Engländer in Florenz waren so begierig auf ihre traditionellen Weihnachtsbräuche, dass wir auch noch zwanzig weitere Tische hätten vergeben können. Ich fand sogar einen Mistelzweig und befestigte ihn mit Evelina zusammen über einem Türsturz.
Es war gegen zehn Uhr abends am Weihnachtstag, als Renzo und ich uns in unserem Speisezimmer hinsetzten. Der Tag war ein Erfolg gewesen, und sogar Renzo fragte mich aus, weil ihn mein Rezept für Mince Pies interessierte. Die Kinder waren schon lange im Bett, und wir tranken mit dem besten Malvasier auf das zurückliegende Jahr. Ich nahm an diesem Abend große Schlucke, denn ich sehnte mich danach, Kitts Worte zu vergessen. Dabei war es mir egal, ob ich das mit Hilfe von Alkohol oder harter Arbeit bewerkstelligte. Irgendwas würde schon helfen.
«Und wofür genau ist dieser Mistelzweig?», fragte Renzo und spielte den Ahnungslosen. Er führte mich zu dem grünen Kranz.
Mein Renzo. Er nahm mich in seine starken Arme und küsste mich, als wollte er mich lebendig verschlingen. Ich weiß, wie sehr ich ihn aus dem Konzept brachte, doch in Wahrheit war er für mich der Mann meines Lebens. Was ich in dieser zurückliegenden Adventszeit begriffen hatte, war, dass er ein guter Mann ist. Tugendhaft, stark, ein guter Kamerad, kurz: der perfekte Ehemann.
«Was hältst du davon, wenn wir heute Nacht noch ein Baby machen?», flüsterte er, während wir die letzten Beeren vom Zweig pflückten. Für jede gab er mir einen Kuss. Ich lächelte und schmiegte mich an ihn. Ich spürte den feurigen Zauber, der zwischen uns erwachte. Es war wirklich ein besonderes Vergnügen, das Aufräumen den Dienern zu überlassen.
Der Morgen war noch nicht angebrochen, als die Pflegerin mich weckte. Ich ließ Renzo nackt in unserem zerwühlten Bett zurück und warf mir ein Tuch über das Nachthemd.
«Signor Tyrone geht von uns», flüsterte sie, und ich folgte ihrer Kerze die Treppe hinunter.
«Hast du nach dem Arzt geschickt?»
«Wir werden eher einen Priester brauchen, Signora Cellini.»
Ich saß am Fenster, als Kitt von einem Priester der englischen Kirche die Sterbesakramente erhielt. Vor dem Fenster hing der Mond wie ein
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