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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
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auf den überzuckerten Dächern. Ich zog die Gazevorhänge zu, weil ich um Kitts Augen fürchtete. Vom Fenster aus beobachtete ich wie ein Schauspieler, der hinter der Bühne auf seinen Einsatz wartete, was geschah.
    Evelina war inzwischen fast fünf Jahre alt und verlor die Rundlichkeit eines Kleinkinds. In dem gestreiften Musselinkleid mit blauer Satinschleife um die Taille sah sie für mich wie eine kleine Dame aus. Erst als ich die beiden so beisammen sah, wurden mir die Blässe ihrer Haut und die seidige Schwere ihrer Haare erst richtig bewusst. Doch da war noch mehr: Als sie ihrem Onkel von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, fiel mir auch ihr sorgloser Charme auf, mit dem sie sich sehr von meinen zwei Taugenichtsen von Söhnen unterschied. Sie schaute Kitt voller Neugier an und beantwortete seine Fragen, so gut es ihr möglich war. Er wollte wissen, wie sie ihre Tage verbrachte, und ob sie glücklich war. In einer stammelnden Mischung aus Italienisch und Englisch plauderte sie über ihre Brüder und ihre Puppen und den Schnee, den sie zum allerersten Mal hatte berühren können. Ich glaube, ich habe noch nie das Gesicht eines Mannes gesehen, auf dem sich seine Gefühle deutlicher widerspiegelten.
    «Evelina», sagte er schließlich. «Würdest du mir einen Gefallen tun?»
    Sie kicherte und schaute mich über die Schulter fragend an.
    «Darf ich dein Gesicht berühren? Dann weiß ich nämlich, wie du aussiehst, obwohl meine Augen nicht richtig sehen können.»
    Erneut schaute sie mich über die Schulter an, und ich bedeutete ihr, dass es in Ordnung sei. Sie saß ganz reglos und hielt sich kerzengerade, weil sie seit kurzem ihr erstes Korsett trug, das ich aus Paris hatte kommen lassen. Kitts Fingerspitzen fuhren über die gekämmte Seide ihrer Haare, die schmale Stirn, die kleine Nase und die von langen Wimpern umrahmten Augen. Als er ihren Mund berührte, kicherte sie erneut, und er folgte diesem Lächeln, das zu zwei rosigen Wangen führte. Seine Finger verharrten bei dem blauen Rüschenband, das sie um den Hals gebunden trug. Heftige Gefühlsregungen zeichneten sich auf seinem Gesicht ab, doch wusste ich nicht, ob es Schmerz oder Freude war.
    «Komm her, Evelina», sagte ich und streckte die Hand aus. Ich fürchtete, das Treffen habe ihn völlig überwältigt.
    «Signora Cellini.» Kitts Stimme klang erstickt. «Würdet Ihr mir einen Gefallen tun und allein zurückkommen?»
     
    Ich brachte Evelina zu ihrem Lehrer und drückte ihr einen Kuss auf den duftenden Schopf. Dann kehrte ich mit bangem Herzen in das lichte, weiße Gemach zurück. Das Blumensträußchen lag auf der Bettdecke, und Kitts Hände suchten danach. Er konnte keine Ruhe geben, bis er die Blumen gefunden hatte.
    «Du solltest jetzt schlafen», murmelte ich. Unangenehme Gefühle überwältigten mich: schreckliches Mitleid, Kummer und Zärtlichkeit. «Ich muss wieder in die Küche. Deine Pflegerin kommt bald wieder.»
    «Einen Moment noch», krächzte er und runzelte vor Schmerzen die Stirn. «Ich will, dass du es erfährst. Ich bin jetzt bereit, mich zu Carinna zu gesellen.»
    Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Mein Gewissen riet mir, ihn zu beruhigen. Aber welche Worte konnten angesichts des nahenden Todes noch Trost spenden?
    «Ihr werdet euch vor Gott wiedersehen», sagte ich.
    Tränen traten in seine Augen und quollen unter den Lidern hervor. Sie flossen über seine eingesunkenen Wangen. «Nein, wir werden uns nicht im Himmel wiedersehen, liebe Biddy.» Er verzog den Mund. Jedes Wort kostete ihn unendliche Qualen. «Dieses Haus war mein letzter Geschmack vom Himmel. Ich werde mit Carinna an einem viel schlimmeren Ort vereint werden.»
    «Du bist kein so schlechter Mensch.» Ich hatte Mitleid mit ihm, weil er glaubte, ihm sei keine Erlösung beschieden. «Christus wird dir deine närrischen Sünden vergeben.»
    «Manchmal glaube ich, du bist die Blinde von uns beiden», sagte er in dem verzweifelten Versuch, Humor zu zeigen. Er hob das Sträußchen an die Nase, und ich konnte für einen Moment den überwältigenden Geruch der Veilchen wahrnehmen. Sie wurden von seiner Hand zerdrückt, und die violetten Blütenblätter um die gelben Gesichter welkten bereits. Bei dem durchdringenden Aroma stieg mir bittere Galle hoch.
    «Das Mädchen. Evelina», sagte er so schwermütig, als blickte er geradewegs in sein eigenes Grab. «Wenn ich diese Welt für immer verlasse, ist da ein Pfandleihschein in meiner Satteltasche.

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