Das Schicksal in Person
Schierlingsbecher – auch wenn es kein Schierlingsbecher war… Und so begrub sie das Kind im Garten, unter den Steinen des zusammengefallenen Gewächshauses, türmte Erde darauf und Torf – «
»Und keine Schwester hatte einen Verdacht?«
»Mrs Glynne war damals nicht dort. Sie war noch mit ihrem Mann im Ausland. Aber Anthea war da, und ich glaube, sie ahnte, was vorging. Sie wusste ja, dass Clotilde den Erdwall am äußersten Ende des Gartens aufgeworfen und mit den schön blühenden Ranken bepflanzt hatte. Ich nehme an, dass sie nach und nach der Wahrheit auf die Spur kam. Und Clotilde, als sie sich einmal dem Bösen verschrieben hatte, scheute auch vor weiteren bösen Taten nicht zurück. Ich nehme an, es machte ihr sogar Spaß, alles genau zu planen. Sie hatte einen gewissen Einfluss auf ein verschlagenes, verdorbenes Mädchen aus dem Dorf, das sie ab und zu besuchte und Geschenke erbettelte. Es war wohl nicht schwierig, sie eines Tages zu einem Picknick oder einem Ausflug zu überreden. Wahrscheinlich hatte sie sich vorher den Ort genau ausgesucht. Und dann hat sie sie erwürgt und auf diese furchtbare Weise zugerichtet. Clotilde musste nicht befürchten, wegen dieser Tat verdächtigt zu werden. Sie verwendete Veritys Handtasche und eines ihrer Schmuckstücke dazu, die wahre Identität der Leiche zu verdecken, und zog ihr wahrscheinlich auch Veritys Kleider an. Sie hoffte, dass das Verbrechen nicht so bald entdeckt werden würde, und streute in der Zwischenzeit das Gerücht aus, Nora in Michaels Wagen gesehen zu haben. Vielleicht erzählte sie auch, dass Verity ihre Verlobung mit Michael wegen dieses Mädchens gelöst habe. Möglich, dass sie an all diesen Dingen sogar noch ihren Spaß fand, die arme verlorene Seele.«
»Warum sagen Sie ›arme verlorene Seele‹, Miss Marple?«
»Weil ich glaube«, sagte Miss Marple, »dass niemand ermessen kann, was Clotilde in diesen zehn Jahren ausstand. Sie behielt Verity dort im Garten des Old Manor House, und sie wusste sicher zuerst nicht, was das für sie bedeutete. Die furchtbare Sehnsucht nach der lebenden Verity. Ich glaube nicht, dass sie Reue empfunden hat. Wahrscheinlich hatte sie noch nicht einmal diesen Trost. Sie litt, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Ich weiß nun, was Elizabeth Temple meinte. Liebe ist etwas Furchtbares. Sie ist empfänglich für das Böse, sie kann selbst zu etwas sehr Bösem werden. In diesem Zustand musste Clotilde leben. Das wird es auch gewesen sein, was Anthea Angst machte. Ich nehme an, es wurde ihr allmählich immer klarer, was Clotilde getan hatte, und sie glaubte, dass Clotilde das spürte. Sie hatte Angst vor Clotildes Reaktion. Clotilde gab Anthea das Paket mit, in dem der Pullover war. Sie erzählte mir einiges über Anthea, dass sie geistesgestört und in ihrer Eifersucht und ihrem Verfolgungswahn zu allem fähig sei. Wahrscheinlich wäre in absehbarer Zeit Anthea etwas passiert, das dann als Selbstmord hingestellt worden wäre.«
»Und trotzdem tut Ihnen diese Frau Leid?« fragte Sir Andrew. »Das Böse ist wie ein Krebsgeschwür. Es bringt Leiden mit sich.«
»Natürlich«, sagte Miss Marple.
»Wahrscheinlich hat man Ihnen erzählt, was in der Nacht geschah, nachdem Ihre Schutzengel Sie in ihre Obhut genommen hatten?«
»Sie meinen mit Clotilde? Ich erinnere mich, dass sie nach dem Glas Milch griff. Sie hielt es noch in der Hand, als mich Miss Cooke aus dem Zimmer führte. Ich nehme an, sie trank es aus?«
»Ja. Hatten Sie das für möglich gehalten?«
»In dem Augenblick dachte ich nicht daran. Aber vielleicht hätte ich es vermutet, wenn ich daran gedacht hätte.«
»Niemand hätte sie davon abhalten können. Es ging alles so schnell, und keiner wusste, dass mit der Milch etwas nicht in Ordnung war.«
»Und so trank sie sie!«
»Überrascht Sie das?«
»Nein, es wird für sie der einzige Ausweg gewesen sein. Sie wollte all den Dingen entfliehen, mit denen sie hatte leben müssen. Ebenso wie Verity dem Leben dort in dem Haus entfliehen wollte. Sehr merkwürdig, diese Art der Vergeltung.«
»Sie scheinen für diese Frau mehr Mitleid zu haben als für das ermordete Mädchen?«
»Nein«, sagte Miss Marple. »Es ist eine ganz andere Art von Mitleid. Verity tut mir Leid, weil sie so viel versäumt hat und weil die Erfüllung für sie so nahe war – das Leben mit einem Mann und für einen Mann, den sie wirklich liebte. Das ist ihr alles entgangen, und niemand kann es ihr wiedergeben. Doch sie entging gleichzeitig
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