Das Schiff der Abenteur
Aus einer Ecke drang ein klägliches Wimmern. Er ging darauf zu und entdeckte ein kleines braunes Häufchen aus Fell.
Neugierig bückte er sich. Was mochte das sein?
Da flog ein zweiter Stein dicht an seinem Kopf vorbei.
Rasch beugte er sich aus der Fensteröffnung und rief drohend hinunter: »Hört sofort damit auf! Verstanden?«
Die Kinder blickten die unerwartete Erscheinung einen Augenblick entgeistert an und stoben dann kreischend auseinander. Philipp wandte sich zu dem braunen Häufchen zurück. Er blickte in ein kleines verrunzeltes Gesicht mit traurigen braunen Augen, die gleich darauf von winzigen Händchen zugedeckt wurden. Ein Äffchen! Philipp wußte, wie scheu die kleinen Wesen waren. Er hatte schon viele Affen in Marokko gesehen, aber niemals aus der Nähe. Sie hielten sich immer furchtsam von den Menschen fern. Wie verängstigt mußte dieses Äffchen sein, das die Kinder mit Steinen beworfen hatten!
Leise und zärtlich begann Philipp in seiner »besonderen Tiersprache« zu reden, wie Lucy das nannte. Das Äffchen nahm die Hände vom Gesicht, blickte ihn einen Augenblick prüfend an und sprang dann plötzlich mit einem einzigen Satz auf seine Schulter. Zitternd drückte es sich an seinen Hals und wimmerte ein wenig.
Philipp hob langsam die Hand und strich ihm sanft über das weiche Fell.
Wieder einmal hatte sich Philipps geheimnisvolle. An-ziehungskraft auf Lebewesen aller Art gezeigt. Kein Tier konnte seinem Zauber widerstehen. Pferde, Hunde, Kat-zen, Schlangen, Vögel und Insekten — alle hatten blindes Vertrauen zu ihm. Es war eine wunderbare Gabe, um die der Knabe oft beneidet wurde.
Philipp setzte sich in die Fensteröffnung und sprach beruhigend auf das kleine verängstigte Geschöpf ein. Es antwortete mit einem hohen schrillen Stimmchen, blickte ihn scheu aus seinen braunen Kinderaugen an und wand die winzigen braunen Finger um Philipps Hand. Von diesem Augenblick an war es der ergebene Sklave des Jungen.
Als die anderen Kinder die Treppen heruntergetrapst kamen, waren sie sehr erstaunt, das Äffchen auf seiner Schulter zu sehen.
Dina wich entsetzt zurück. »Nun hast du also doch wieder ein Tier aufgegabelt, Philipp. Pfui! Ein ekelhafter, schmutziger Affe mit Flöhen!«
»Schmutzig ist er allerdings, und Flöhe hat er wahrscheinlich auch«, gab Philipp zu. »Aber ekelhaft ist er kei-nesfalls. Die Kinder haben ihn mit Steinen beworfen und an den Hinterbeinen verletzt.«
»Ach, das arme kleine Ding!« rief Lucy mitleidig. Jack streichelte behutsam den winzigen Kopf des Äffchens.
Aber es wollte nichts von ihm wissen und klammerte sich nur noch fester an Philipp.
»Du darfst das Tier auf keinen Fall mitnehmen«, zeterte Dina. »Ich will keinen Affen in unserer Gesellschaft haben.«
»Natürlich nehme ich ihn mit«, sagte Philipp bestimmt.
Dina wurde sofort wütend. »Das werde ich Mutter sagen. Ich werde ...«
»Ach, Dina, er ist doch so klein, und seine Beine sind verletzt«, wandte Lucy ein. »Wie kannst du nur so unfreundlich sein?«
Dina wurde rot und drehte ihr schweigend den Rücken.
Sie ärgerte sich, weil sie voraussah, daß der Affe ihnen nun auf Schritt und Tritt nachlaufen würde. Aber sie wollte den anderen auch nicht den Spaß verderben. Daher sagte sie nichts mehr, war allerdings den ganzen Tag über schlechter Laune.
Philipp brachte es tatsächlich fertig, das Äffchen unbemerkt aufs Schiff zu bringen. Lucy und Jack halfen ihm geschickt dabei, es vor den anderen Passagieren zu verbergen. Immer wenn sie befürchteten, jemand könnte es bemerken, stellten sie sich rasch vor Philipp hin und lenkten die Aufmerksamkeit auf sich. Dina beteiligte sich nicht an diesem Spiel, verriet aber auch nichts.
Als sie auf das Schiff zurückkamen, liefen Jack, Lucy und Philipp mit dem Äffchen in die Kabine der Jungen und untersuchten es gründlich. »Es ist noch nicht einmal erwachsen«, sagte Philipp. »Ich verstehe nicht, wie die Kinder ein solch kleines Wesen mit Steinen bewerfen konnten. Aber es gibt wohl in jedem Land böse und grau-same Menschen. Bei uns in England werfen die Jungens auch manchmal Steine nach einer Katze. Seht nur, beide Hinterbeine sind verletzt. Ein Glück, daß sie nicht gebrochen sind. Die Wunden werden sicherlich bald heilen. Ob es sich wohl von mir waschen läßt? Es ist so furchtbar schmutzig.«
Das Äffchen ließ alles mit sich geschehen, was Philipp wollte. Die Kinder verbrachten zwei Stunden damit, es gründlich zu waschen und abzutrocknen. Jack
Weitere Kostenlose Bücher