Das Schiff der Hoffnung
sage Claudia leise und rückte schutzsuchend näher zu Frank Hellberg.
»Dann hatte ich zwei Freundinnen, die meiner Tochter glichen. Die eine starb durch einen Stich in den Rücken, die andere vergiftete sich mit Gas.« Saluzzo hob beide Hände und sah Claudia aus seinem gesunden, lebenden Auge starr an. »Ich bin ein Mann von fünfzig Jahren. Als Julia, meine Tochter, ertrank, war ich zweiundvierzig. Acht Jahre lang habe ich nach Mädchen gesucht, die meiner Tochter glichen, und alle wurden meine Geliebten, denn wie meine Tochter konnte ich sie nicht lieben. Bis vor drei Wochen waren es genau sieben Mädchen, die Julia ähnlich sahen; fünf von ihnen leben nicht mehr.« Saluzzo beugte sich vor und sah Claudia in die großen, flimmernden Augen. »Nun sind Sie hier an Bord, Signorina, und Sie gleichen meiner armen Julia wie eine Zwillingsschwester. Sie sind ihr am ähnlichsten von allen Mädchen … und Sie haben Krebs.« Saluzzo ließ sich zurückfallen an die Couchlehne. »Ist das nicht eine bittere Ironie des Schicksals?«
Ein Verrückter. Das war der erste Gedanke, der durch Frank Hellberg fuhr. Ein Psychopath mit dem tödlichen Tochterkomplex. Aber dann erkannte er, wie gefährlich dieser Saluzzo war und wie recht Enrico Sampieri hatte, als er sagte, daß man sich über nichts, was in Saluzzos Nähe geschah, wundern sollte.
Hellberg stellte sein Glas mit einem lauten Ruck auf den Tisch. Der Blick Saluzzos flog aus dem Augenwinkel zu ihm.
»Der Orangensaft war vorzüglich, Signore Saluzzo«, sagte er. »Erfrischt gehen wir von Bord.« Hellberg stand auf und zog Claudia an der Hand mit sich empor. »Doch ich glaube, daß ich Ihre finanziellen Vorstellungen nicht erfüllen kann. Ich bin ein kleiner Schreiberling, und die Gehälter der deutschen Verleger sind nicht gerade die besten. Entschuldigen Sie, daß wir Sie so lange aufgehalten haben …«
Umberto Saluzzo war sitzengeblieben. Jetzt rührte er wieder in seinem Glas, nahm einen vorsichtigen Schluck der eiskalten Limonade und kniff die Augenhöhle, in der sein Monokel festgeklemmt war, etwas zusammen.
»Was haben Sie vor, Signore Hellberg?«
»Wir werden wohl doch auf Claudias neuen Paß warten müssen.«
»Ich werde zurück nach Livorno fahren«, sagte Claudia. »Vielleicht arbeiten die Behörden schneller, wenn sie sehen, wie es um mich steht.«
»Ich glaube, Sie haben eine völlig falsche Auffassung von den Dingen«, erklärte Saluzzo. »Sie fahren ja umsonst, Signorina.«
»Ich fahre nicht ohne Frank.«
»So ist es.« Hellberg zog Claudia eng an sich. »Ich lasse Claudia nicht allein.«
»Ein edler Mensch!« Saluzzo sah auf seine goldene, mit Brillanten verzierte Armbanduhr. »In einer halben Stunde essen wir. Ich hoffe, daß Ihnen mein Koch gefällt. Ich will, daß sich meine Gäste an Bord wohl fühlen wie im besten Grandhotel.«
»Gehen wir!« sagte Hellberg und zog Claudia mit zur Tür des Salons. Verrückte muß man durch Taten überzeugen, dachte er. Sie müssen die Stärke des anderen anerkennen. Darin sind sie wie Raubtiere, die ihren Herrn sehen müssen.
»Um Ihr Gepäck brauchen Sie sich nicht zu kümmern«, sagte Saluzzo gemütlich und lächelte wieder. »Es ist bereits an Bord.«
»Wer hat Ihnen …«, rief Hellberg laut, aber Saluzzo ließ ihn nicht aussprechen. Er winkte lässig ab. »Sampieri ist ein guter Informant. Während wir miteinander plauderten, haben zwei meiner Matrosen Ihr Gepäck abgeholt. Kabine 4 und 6 ist reserviert. Aus Gründen der Moral sind es zwei Einzelkabinen, die sich gegenüberliegen.« Saluzzos Lächeln war plötzlich schleimig. »Mir liegt die Gesundheit von Signorina Claudia sehr am Herzen.«
Hellberg atmete tief auf. Ruhe, sprach er sich zu. Nur Ruhe. Denk an Sampieri! Auch sein Leben hängt von deinen Reaktionen ab. Dieser Saluzzo ist gar kein Verrückter; er ist der eiskälteste Verbrecher, den man sich vorstellen kann. Ein vollendeter Teufel. Sampieri hatte recht.
»Ich verlange, daß unser Gepäck zurück an Land gebracht wird«, sagte Hellberg scharf.
»Umberto Saluzzo hat noch nie in seinem Leben eine Handlung rückgängig gemacht.«
»Dann fangen Sie heute damit an.«
»Warum? Gefällt es Ihnen nicht an Bord? Ich sehe in Ihnen reizende Gäste.« Und wieder der Blick zu Claudia. Dieser deutliche, abtastende Blick, unter dem das Kleid Claudias wegschmolz, als habe man es versengt.
»Ich zahle Ihnen keine Lire.«
»Einverstanden. Ich lade Sie ein zu einer Fahrt nach Dubrovnik.«
»Ich
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