Das Schiff der Hoffnung
Kräfte an der Wand lehnte. Der Polizist war unten beim Wagen und sah dem Transport von Lord Rockpourth zu, der zu seiner sprachlosen Verwunderung noch lebte.
»Wir werden Ihre Frau gleich operieren«, sagte der Oberarzt. »OP II ist gerade frei geworden. Sie haben Glück, mein Herr: Das ganze Team mit Professor Kraicic steht bereit. Haben Sie keine Angst, in zehn Minuten ist der Röntgenbefund fertig, und wir wissen, was es ist, obschon ich meiner Diagnose bereits jetzt sicher bin.«
»Ihre Diagnose …« Karl Haußmann schloß die Augen. »Nicht operieren«, sagte er leise. »Es ist ihr Tod … sie kann ja nicht operiert werden … es ist ja sinnlos … sie … sie ist doch inoperabel …«
»Was ist sie?« fragte der serbische Oberarzt. »Inoperabel? Wieso denn?«
»Sie hat Krebs«, stammelte Haußmann. »Unheilbaren Krebs! Wir wollten zu Dr. Zeijnilagic, nach Sarajewo zu dem HTS!«
»Krebs?« Der Oberarzt drückte das Kinn an. Dann sah er Haußmann nachdenklich an und hatte es plötzlich sehr eilig. »Professor Kraicic wird nachher mit Ihnen selbst sprechen. Entschuldigen Sie mich bitte …«
»Werden Sie operieren?« rief Haußmann ihm nach. Er hatte sich von der Wand abgestoßen und lief dem Oberarzt nach.
»Wenn es nötig ist … ja!«
Haußmann blieb stehen. Eine Wand aus Milchglas war vor ihm. Darauf in Schwarz eine Schrift. Er konnte die Worte nicht lesen, aber er wußte, was sie bedeuteten.
Eintritt verboten.
Der OP-Trakt.
Überall ist es so, ob in Gelsenkirchen oder in Mostar.
»Erika …«, sagte er leise, deckte die Hand über die Augen und drückte die Stirn gegen die kalte Glasscheibe. »Erika … verlaß mich nicht … geh' nicht weg … O Gott, mein Gott … laß sie leben …«
Eine Schwester mit großer, weißer Haube führte ihn weg in ein Zimmer und drückte ihn in einen Sessel aus geflochtenen Kunststoffschnüren. Karl Haußmann merkte es gar nicht; er stierte vor sich hin, hatte die Hände gefaltet und schien darauf zu warten, daß jemand ihn aus seiner Starrheit weckte mit den Worten: »Es ist vorbei … wir konnten Ihre Frau nicht mehr retten …«
Auf dem Gang war ein Kommen und Gehen. Weiße Kittel wehten an der offenen Tür des kleinen Zimmers vorbei, in dem Haußmann hockte. Ein Arzt sah kurz herein, aber er sprach Haußmann nicht an, sondern rannte weiter durch die Milchglastür in den OP-Trakt.
Wie lange Haußmann so dasaß, wußte er nicht. Er hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren. Hätte man ihm gesagt: Sie sitzen zehn Stunden hier, er hätte es ebenso geglaubt wie eine halbe Stunde.
Die Luft wurde stickig im Zimmer. Die Hitze brütete auf den Dächern. Karl Haußmann lief der Schweiß über die Augen und das Gesicht. Aber er wischte ihn nicht ab, er saß nur da, starrte vor sich hin und wartete.
Wartete.
Und büßte ab.
Das Fegefeuer kann nicht grausamer sein, dachte er einmal. Ja, ich habe Erika betrogen … nicht nur mit Marion Gronau. Verdammt, ich gestehe es: Ich habe sie mehrmals betrogen. Mit einer Kellnerin vom Clublokal des Gesangvereins. Mit der Buchhalterin der befreundeten Firma Meyering & Co. und mit einer Platzanweiserin im Kino. Abenteuer waren es, weiter nichts, aber es war Betrug. Es waren Gemeinheiten angesichts der Liebe Erikas und ihres Vertrauens zu mir.
Ich bin ein schlechter Mensch. Ich weiß es. Aber sie hat es nicht verdient, so zu sterben … auf einem OP-Tisch in Mostar …
Haußmann sprang auf. Er lief aus dem Zimmer und prallte auf dem Flur gegen einen älteren Arzt, der gerade aus der Milchglastür kam.
»Erika!« rief Haußmann, und man sah ihm an, daß er gar nicht wußte, was er rief und was er tat. »Sie dürfen dich doch gar nicht operieren …!«
»Beruhigen Sie sich«, sagte der ältere Arzt in fließendem Deutsch. »Kommen Sie mit, ich habe mit Ihnen zu reden!«
Er nahm Haußmann an der Hand wie ein verirrtes Kind und zog ihn zurück in das kleine Zimmer. Dort ließ er ihn am Fenster stehen, schloß die Tür und knöpfte seinen weißen Kittel auf. »Ich glaube, man sollte Sie gründlicher behandeln als Ihre Frau! In was reden Sie sich da hinein?«
Karl Haußmann wischte sich über das schweißnasse Gesicht. Wie aus einem quälenden Traum erwachte er, und was er bisher wie durch Nebelwände gesehen hatte, wurde klar um ihn. Er wandte sich um, riß das Fenster auf und atmete die einströmende warme Luft ein, als sei sie wundervoller, kühler Gebirgsozon. Dann drehte er sich zurück ins Zimmer und riß sich den Kragen
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