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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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brauchte höchstens eine halbe Minute, um sein Versteck zu finden – eine lockere Leiste in der Verschalung, die man herausnehmen konnte. Ich tastete in den Hohlraum hinein und fand seine übrigen Schätze – zwei angerauchte Filterzigaretten, einen zur Größe einer Briefmarke gefalteten Fünfzigmarkschein und – in einer Streichholzschachtel – ein schmales Glasröhrchen, das noch halb mit einem weißen Pulver gefüllt war. Ich legte die Zigaretten dazu, brachte die Leiste wieder an ihren Platz, und nachdem ich die Kippen weggespült, das Zahnputzglas sauber gemacht und das Fenster geöffnet hatte, kam ich mir vor, als hätte ich an einem obszönen Akt teilgenommen. Ich wusch mir die Hände, und im Spiegel sah ich, daß Scheunemann sich im Bett aufgerichtet hatte und jede meiner Bewegungen verfolgte.
    »Von mir erfährt der Professor nichts«, sagte ich.
    Er nickte und machte seinen Zeigefinger krumm. Ich bemerkte den Schweißgeruch, als ich an sein Bett trat. Sein Gesicht war klatschnaß.
    »Miriam«, flüsterte er. »Nie zurück … zu Nora.«
    Ich machte, daß ich rauskam, bevor er mir den Auftrag geben konnte, seine Tochter zu ihm zurückzubringen.
    Vor der Tür stand die Nachtschwester, als hätte sie die ganze Zeit am Schlüsselloch gelauscht. Sie brachte mich zur Pforte. Von Nachtportier und von Vittinghoff war nichts mehr zu sehen, das Haus lag so still wie eine Gruft.
    »Der arme Herr Scheunemann«, sagte die Nachtschwester. »Hat er Ihnen auch sein Versteck gezeigt? Sehen Sie, das ist es, was der Schnaps aus den Menschen macht, die wir hier betreuen – kindische Wesen, die sich wieder in ihre Welt versetzen möchten, wie sie war, bevor sie Verantwortung übernehmen mußten.«
    »Ich wäre mir nicht so sicher, ob das der Schnaps macht«, sagte ich. »Ich tippe eher auf Sie, Schwester.«
    Draußen in der klaren Nachtluft merkte ich erst, daß meine Stirn so naß wie die von Scheunemann war.

7
    In dem Bungalow mit dem pinkfarbenen Neonherz schien eine Party zu laufen. Gedämpfter James-Last-Sound, das übliche nervöse Anmachgelächter und keine Parklücke mehr zwischen all den Cabrios und Benzkutschen. Bei Nora Schäfer-Scheunemann war alles dunkel, und auch nach dem dritten Läuten rührte sich nur der Hund, ein freundliches Gebell, nicht gerade geeignet, das Blut in den Adern eines nächtlichen Störenfrieds gerinnen zu lassen. Und ich war ja auch kein Störenfried, ich hatte einen Auftrag von Frauchen, ich war der Mann für gewisse Fälle und hatte auch schon drei Riesen Spesenvorschuß kassiert – und mir dafür eine Menge Zimt anhören müssen. Ich hatte die Pflicht, auf diesen Klingelknopf zu drücken. Ich drückte noch ein bißchen, und Sascha bellte noch ein bißchen, und drüben führ noch ein Luxusschlitten vor, und eine Frauenstimme rief: »Und laß deine schlechte Laune bloß nicht an mir aus, Fritz!«
    Eine tolle Party.
    Und Nora Schäfer-Scheunemann rührte sich immer noch nicht.
    Noch ein Blick auf die Uhr. 22 Uhr 37. So früh ging doch selbst auf dem Land niemand mehr zu Bett, und dann noch auf dieser Sorte Land. Also tat ich, wofür ich bezahlt worden war, ich handelte. Ein Blick über die Schulter, und schon hatte ich über die Gartentür gesetzt und brauchte auch höchstens fünfeinhalb Sekunden für den Weg bis zur Haustür, über der eine Kugellampe mattes Licht verbreitete. Ich atmete tief ein und klingelte an der Haustür. Dingdong. Die Glocke mußte bis zum Wald zu hören sein. Und der Hund war jetzt auf der anderen Seite der Riffelglastür und jappte vor Wiedersehensfreude. Und Nora Schäfer-Scheunemann rührte sich nicht. Alles, was mir noch fehlte, war ein mißtrauischer Nachbar, eine Funkstreife, meine Fingerabdrücke überall – und Noras Leiche auf dem Perserteppich. Tja, Harder, daß die Presse lügt, stiehlt, einbricht und fälscht, um an eine Story zu kommen, das war uns ja nun schon bekannt. Daß sie neuerdings auch zum Mord greift, um Schlagzeilen zu machen, das mußten Sie uns erst beibringen. Ach so, Sie haben fünfzig Riesen Steuerschulden. Das erklärt allerdings eine Menge.
    Plötzlich ging hinter der Tür das Licht an, und dann passierten drei Dinge fast gleichzeitig – die Tür ging auf, der Hund sprang an mir hoch, und Nora Schäfer-Scheunemann stand in einem Traum von schwarzem Kimono vor mir, richtete eine Kanone auf mich und sagte: »Mein Gott, haben Sie mich erschreckt, Harder!«
    »Darf ich trotzdem reinkommen?«
    »Worum geht es denn?«
    »Ich bin

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