Das Schlangenmaul
der Mann, den Sie beauftragt haben, Ihre Tochter zu suchen. Sie erinnern sich doch noch?«
»Nun kommen Sie schon. Sascha, laß das! Ich habe schon meine Schlaftablette genommen, entschuldigen Sie, ich muß grauenhaft aussehen. Ich kann ohne Schlaftablette gar nicht mehr einschlafen, und manchmal nehme ich auch zu viel davon. Wollen Sie etwas trinken? Setzen Sie sich doch, das Récamiere ist viel bequemer als der Sessel, wenn Sie mich einen Moment entschuldigen …«
Als sie aus dem Badezimmer wiederkam, hatte sie sich die Haare gerichtet und die Lippen nachgezogen, aber das machte keinen Unterschied – gerade mit ihrem vom Schlaf schon verwaschenen Gesicht sah sie hinreißend aus, zart, verletzlich und völlig unberechenbar. Sie drapierte sich auf dem Ding, von dem ich nun wußte, wie man in den Kreisen, in denen man es sich leisten kann, dazu sagt, und ich blieb mit einem Wodka an der Bar stehen. Bei Nacht wirkte auch der Blick in das Tal noch teurer als bei Tag. Eine Menge Pluspunkte hier, Harder.
»Ihr Exmann hat mit dem Verschwinden Ihrer Tochter nichts zu tun«, sagte ich, bevor Nora die Augen wieder zufielen.
»Und woher wollen Sie das wissen?«
»Ganz einfach – ich habe ihn gefragt.«
»Ach, so einfach ist das? Sie fragen ihn, und dann wissen Sie die Wahrheit.«
»Was heißt schon Wahrheit. Ich glaube ihm jedenfalls, daß er mit dem Verschwinden nichts zu tun hat – zumindest nicht direkt. Haben Sie mir heute mittag die Wahrheit gesagt, Nora?«
Sascha hatte es geschafft und sich neben ihr eingerichtet. Sie drehte an seinen Locken, und ich bemerkte, daß sie sich die Fingernägel lackiert hatte. Eine Farbe wie getrocknetes Blut.
»Wenn Sie nur gekommen sind, um sich mit mir zu streiten, muß ich Sie enttäuschen, Harder. Ich verspüre gar keine Lust dazu. Oder sind Sie aus einem anderen Grund gekommen?«
»Ich mache nur einen Job für Sie«, erinnerte ich sie. »Nachdem ich bei Ihrem Exmann war, habe ich mehrfach angerufen, und als Sie nicht ans Telefon gingen, habe ich mir Sorgen gemacht.«
»Sie wollen sich Ihr Geld wohl wirklich verdienen?«
»Wollen Sie Ihre Tochter wirklich finden?«
Sie sah mich an, ohne etwas zu sagen, und dann machte sie den Mund auf, aber nur, um mir mit einer Art Stöhnen zu zeigen, wie sehr ich sie verletzt hatte. Ich steckte mir eine Zigarette an, nahm noch einen Schluck Wodka und bohrte etwas tiefer.
»Ich frage deshalb, weil Ihr Exmann behauptet, sie wäre nach Berlin gegangen.«
Diesmal war sie schnell. »Woher will Paul das denn wissen?«
»Nun, die beiden scheinen doch gar kein schlechtes Verhältnis zu haben. Vor ihrem ›Verschwinden‹ soll Miriam sogar bei ihm gewesen sein. Und er hat ihr Geld gegeben. Denn von Ihnen, sagt er, wurde Miriam ja kurzgehalten. Weil Sie das Geld zum Verzocken brauchen – wörtliches Zitat.«
»Glauben Sie diesem Mann wirklich mehr als mir, Harder? Wo haben Sie denn mit ihm gesprochen?«
Sie weiß genau, wo Scheunemann eingebunkert ist, dachte ich. Sie weiß viel mehr, als sie zugibt. »In einem hübschen ruhigen Zimmer an der Eilenriede.«
»In dieser Spezialklinik für Säufer und Süchtige.«
»Wir nehmen doch alle Drogen. Ihre Worte.«
»Aber die meisten von uns reißen sich dabei immer noch zusammen. Paul ist ein haltloser Alkoholiker, Harder, wie können Sie ihm auch nur ein Wort glauben? Er lebt in einer Phantasiewelt, nur Verfolgungswahn und weiße Mäuse …«
»Dann ist es aber doppelt unwahrscheinlich, daß er mit dem ›Verschwinden‹ Miriams etwas zu tun hat. Sie hören, ich setze ›Verschwinden‹ schon in Anführungszeichen. Es müßte Ihnen doch auch zu denken geben, daß Miriam hier weg ist, kurz nachdem sie in Berlin war. Ich tippe darauf, daß sie in Berlin jemand getroffen hat, der sie dazu veranlaßte, wieder hinzufahren. Das Mädchen ist achtzehn, Nora, da passiert so etwas doch – irgendwann verlieren wir alle die Unschuld.«
»Geben Sie mir eine Zigarette, Harder?«
Das hatte sie mit ihrem Exmann auch noch gemeinsam – sie mochten beide meine Zigarettenmarke. Ich gab ihr auch Feuer, vermied es aber, auf dem Récamiere hängen zu bleiben, obwohl ihr Mund gerade das zu verlangen schien, sondern zog den Sessel vor. Er stand immer noch so dicht bei ihr, daß ich ihre Nachtcreme riechen konnte.
»Ich werde also morgen anfangen, in Berlin zu suchen.«
»Aber da haben Sie doch überhaupt keinen Anhaltspunkt.«
»Einen vielleicht schon«, sagte ich und beobachtete sie scharf. »Der hat sogar
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