Das Schlangenmaul
aufhören.«
»Du warst doch kein Boxer, Schätzchen.«
»Ich habe immerhin mit Boxern trainiert, Evelyn. Und sag auch bitte nicht Schätzchen zu mir, das hört sich nach Nutte an.«
»Vielen Dank. Gehst du immer noch so oft in den Puff?«
»Andere Frauen kosten einfach zu viel.«
Sie sah aus, als wolle sie mir eine runterhauen, dann lächelte sie statt dessen lieber einem Mann am Nachbartisch zu, der uns mit offenem Mund zuhörte, worauf er sich hastig über seine Wachtelterrine mit Sauerampfer hermachte. Ich hatte damit gerechnet, daß wir im Schweizerhof essen würden – sie hatten gerade Wildwoche –, aber Evelyn hatte natürlich schon einen Insidertip bekommen, ein Lokal im Stil einer badischen Weinstube. Das Essen war auch wirklich gut, aber die Portionen lagen unter dem, was eine Bratwurst/Pommes an Kalorien lieferte. Und an den Wein wollte ich mich auch nicht halten. Ich hatte schließlich zu arbeiten. Ich schnitt also noch eine Scheibe Filet ab, kratzte den Rest von den Kroketten und ›Salaten der Saison‹ zusammen, spülte alles mit einem Schluck Gewürztraminer hinunter und sah mich in dem Lokal um.
Der ›Insidertip‹ war gerammelt voll, und das schon um acht Uhr.
»Willst du mir nun nicht endlich erzählen, worum es geht?«
»Hier?«
»Harder, hier fällt man nur auf, wenn man stumm sein Essen in sich rein schaufelt. Wie du.«
»Von Schaufeln kann ja wohl nicht die Rede sein.«
»Nimm eine Nachspeise. Gerade für die Nachspeisen ist das Lokal berühmt.«
»Du weißt doch, daß ich Nachspeisen nicht mag.«
»Reg mich nur weiter so auf.«
»Wozu zahlt man ein Schweinegeld für so ein wundervolles Essen, wenn man eine Stunde später an der nächsten Wurstbude steht und zweimal Schaschlik mit Pommes frißt?«
Sie schob ihren Teller weg – ich bemerkte, daß sie immerhin auch nichts übrig gelassen hatte –, und zündete sich eine Kool an.
»Ich lade dich ein, Harder.«
»Darum geht es doch nicht. Ich könnte dich auch einladen. Bin auch in Spesen unterwegs.«
»Für welche Zeitschrift?«
»Ich bin an kein Blatt gebunden.«
»Also arbeitest du auf eigene Faust. Und wer bezahlt dir deine Auslagen?«
»Die Mutter des verschwundenen Mädchens.«
»Um Gottes willen, Harder – was ist das denn für ein Dreh?«
Ich hatte das letzte Stück Fleisch gegessen, verteilte den Rest Gewürztraminer auf unsere Gläser und steckte mir eine Gitane an. Feines Kraut. Sie schmeckte nach Fischsuppen, mittäglichen Rotweinräuschen, frisch bezogenen Bordellbetten, feuchter Druckerschwärze. Nach allem, was man eines Tages von der langen Bank holt, um es durchzuziehen.
»Die Mutter dieses Mädchens war bis vor ein paar Jahren mit einem Mann verheiratet, der früher im Baugeschäft steckte und dann in die Politik gegangen ist. Als Geldbeschaffer. Die Frau war danach eine Zeit lang mit einem undurchsichtigen Geschäftemacher – möglicherweise kriminell – liiert, der wiederum hier mit einem mysteriösen Institut in Verbindung steht, in dem das Mädchen verkehrte, als es zuletzt in Berlin war. Du siehst die Möglichkeiten.«
Den Namen Myslisch wollte ich nicht ins Spiel bringen. Politik war für Evelyn – wie für Nora Schäfer-Scheunemann – etwas, das man Leuten überließ, die dafür geeignet waren und deren Namen man so wenig behielt wie den des Klempners. Dafür hätte er den Leuten in diesem Lokal bestimmt etwas gesagt. Evelyn betrachtete mich mit einem Ausdruck, den ich gut kannte. Es war der gleiche Ausdruck, mit dem sie auch die Abendnachrichten im Fernsehen betrachtete – oder die von meinen Serien, in denen ich klotzen durfte. ›… neun – zehn – aus! Boxen am Boden – Ein Bericht von Heinz Harden.
»Das klingt wirklich wie eine dreckige Geschichte.«
»Das Mädchen ist seit einem halben Jahr verschwunden. Du kannst dir doch wohl vorstellen, wie der Mutter zumute sein wird.«
»Hat sie sich denn nicht an die Polizei gewandt?«
»Das ist gar nicht so einfach, Evelyn.«
»Du meinst, es ist einfacher, sich an dich zu wenden? Bist du inzwischen auch schon so etwas wie ein Bulle?«
»Ich bin nur einer Story auf der Spur.«
»Unter Vortäuschung falscher Tatsachen?«
Ich wandte mich an eine Bedienung in badischer Tracht und bestellte Kaffee und einen Pflaumengeist, bevor ich Evelyns Frage beantwortete.
»Diese Art Journalismus, wie ich ihn früher gemacht habe, damit ist es für mich vorbei, Evelyn. Und da ich mich auch nicht für deinen Kulturjournalismus erwärmen kann –
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