Das Schlangenmaul
ich habe es ja weiß Gott versucht –, mache ich jetzt etwas Neues.«
»Was soll denn daran so neu sein?«
»Für mich neu. Ich bin selbst hautnah dran. Stecke selbst drin. Keine kritische Distanz, nichts. Wenn es schiefgeht, liege ich voll in der Scheiße.«
»Das hört sich aber gar nicht neu an.«
»Mein Gott, früher hab ich letztlich nie für mich gearbeitet, immer für die Redakteure, die Herausgeber, das Blatt.«
»Von dem du ein Teil warst.«
»Jetzt arbeite ich auf eigenes Risiko.«
»Die Spesen trägt ja immerhin eine – ja, wie nennst du das denn? Eine Klientin?«
»Warum nicht?«
»Was trägt sie denn noch?«
»Ich versteh dich nicht.«
»Wahrscheinlich stimuliert die Frau dich doch nicht nur mit ein paar Mark Spesen.«
Wir bekamen den Kaffee serviert, und Evelyn bezahlte gleich. Ich trank den Schnaps. Mit den zwei Gimlets war es der dritte. Genau richtig, fand ich. Allmählich wurde ich richtig heiß. Mit halbwegs kühlem Kopf heiß werden, das war es.
»Mich stimulieren Geheimnisse«, sagte ich.
»Wenn du Geld gesagt hättest, klänge es ehrlicher.«
»Wie läuft es denn bei deiner Kunstzeitschrift?«
»Im letzten Jahr haben wir die Auflage um 11 Prozent erhöht.«
»Und in diesem Jahr?«
»Momentan haben alle Titel dieser Art Schwierigkeiten.«
»Wenn ich gelegentlich in euer Blättchen rein sehe, könnte ich dir auch schon zehn Gründe nennen, an denen das liegt. Und die sind alle hausgemacht. Auflagenrückgang auf das Publikum zu schieben, das ist schon der Todeskuß.«
»Warum machst du das nicht mal, Harder? Komm nach Hamburg und setz dich mit uns zusammen …«
Ich sah auf die Uhr. »Danke, Evelyn. Es ist rührend, wie du mich dem Journalismus erhalten willst. Wenn ich mal die Steuerfahndung vom Hals habe, kann ich es mir vielleicht auch leisten, bei euch mal über die Seiten zu gehen.«
Sie drückte ihre Zigarette aus, strich sich durchs Haar. Wenn Evelyn auf korrupt machte, war sie wunderbar. »Wenn du glaubst, daß das an meinem Steuerberater liegt, rede ich mit ihm, Harder …«
»Komm lieber mit auf die Soirée, Evelyn. Ich kann dich schließlich nicht aus Berlin weglassen, ohne daß du etwas erlebt hast.«
Sie schlüpfte in ihren weichen Ledermantel, dessen Farbe die ihres Haars zu imitieren schien, und drängte sich dabei näher an mich, als es nötig gewesen wäre.
»Dazu bräuchten wir aber hoffentlich nicht auf eine Soiree, Harder.«
»Wer weiß? Ich war schließlich noch nie auf einer.«
20
»Mein Name ist Harder. Wir sind angemeldet.«
Eine kleine Dame mit grauem Haar und herzlichem Lächeln, angetan mit einer Art Tunika aus rotem Brokat, nahm uns in Empfang.
»Willkommen bei unserer Soiree! Und Ihre liebe Frau haben Sie auch mitgebracht.«
Ich schob meine liebe Frau in das Vestibül. Helles Licht, weiße Wände, gewachstes Parkett. Gruppen von Leuten mit Gläsern, im Hintergrund gedämpfte Musik, Sitarschluchzen. Ich zückte einen Karton.
»Wenn Sie meine Karte bitte Herrn Malzan geben könnten …«
»Herrn Malzan? Oh, ich fürchte, er ist noch nicht da.«
»Er wird aber doch noch kommen?«
»Nun, Herr Harder, es wäre ungewöhnlich, daß Herr Malzan sich um jeden einzelnen Interessenten kümmert …«
»… in diesem Fall wird er eine Ausnahme machen.«
»Wie Sie meinen, Herr Harder. Sollten Sie oder Ihre liebe Frau Fragen haben, wenden Sie sich bitte an mich. Vielleicht können wir auch ein kurzes Gespräch mit Frau Dr. Frenkel-Ahimsa arrangieren – nach Beendigung der Soirée.«
»Das wäre entzückend«, sagte ich und steuerte meine liebe Frau ins Gedränge. »Warum nennt sie dich so, Evelyn?«
»Vielleicht haben Frauen hier einen anderen Rang als da, wo du sonst verkehrst.«
Vielleicht erkannten sie aber auch sofort, daß Evelyn auf heimischem Parcours war – sie schnupperte die verbrauchte Luft einer Vernissage wie eine Stute die der Rennbahn ihrer großen Siege. Ein ganz in Weiß und Ocker gehaltener Saal. Dicke Teppiche. Zierpflanzen. Musselinvorhänge. Strategisch verteilte Sitzecken, an der hinteren Längswand ein dunkelroter Samtvorhang, davor Stuhlreihen für den Vortrag des Abends. An den Wänden Bilder, aber mich interessierten zunächst die Gäste der Soiree.
Ein undurchsichtiges Publikum. Grauhaarige Späthippies, auch ein paar modisch gekleidete Schickeriatypen, vor allem aber Dreißig- bis Vierzigjährige in unauffälligen Anzügen und dezenten Kostümen, die nicht so aussahen, als suchten sie hier das Geheimnis der
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