Das Schlangenmaul
ich soll euch eure Ergüsse auffrisieren, dieses seichte Geschnatter, das leider völlig neben dem Markt liegt, es fehlen eben die Juden, heißt es dann als letzte Ausrede, es fehlt das intelligente Lesepublikum, da muß dann also leider wieder dieser Harder ran, den Pep reinmixen in das öde Gelaber, weil sonst der Verlag den Hahn zudreht, der böse Konzern, der ja nur nach den Zahlen geht. Saft- und kraftloses Gewichse, aber immer die Nase im Trend vom letzten Jahr. Penner. Vielleicht sollte ich Smetana mal fragen, ob ich das Mitteilungsblättchen der Kriminalbeamten redigieren kann. Da steht dann wenigstens einer von der Truppe an deinem Grab, Kranz mit Schleife: Sein Griffel war der schnellste.
»Meine Damen und Herren, liebe Freunde …«
Ein Stiftekopp, dazu farblich passende gelbliche Plastikbrille, grüner Anzug, rosa Hemd, gestreifte Fliege, ruckartiger Bewegungsablauf. Die Gäste verteilten sich auf Sitzecken und Stuhlreihen, zwanglos, es war ja schließlich kein Volkshochschulabend, noch mal einen Sekt gegriffen, den Ascher zurechtgerückt, glatte Routine. Drei Dutzend Leute inzwischen, ein Drittel Kunst, ein Drittel Busineß, ein Drittel Schnorrer, fließende Übergänge zum Irrenhaus und zur Staatssicherheit. Die Sitar stoppte.
»Sie werden überrascht sein, heute Abend von einem Vertreter des Senats begrüßt zu werden«, fuhr der Stiftekopp mit einer Stimme fort, der man noch einen Bronchialkatarrh anhörte. »Dafür gibt es indessen eine plausible Erklärung, nämlich die Tätigkeit der unter der Verantwortung des Kultursenators ins Leben gerufenen Kommission für die Koordinierung kultureller Kommunikation, kurz KKK genannt, die inzwischen ihre Arbeit aufgenommen hat, und wenn jetzt einige von Ihnen mit Blick auf Amerika sagen, das hört sich ja an wie Ku-Klux-Klan, dann sage ich, das kann uns nur recht sein, Freunde, auch wir wollen Dampf machen, jawohl!« Teils peinlich berührtes, teils dummdreistes Gelächter. »Und wenn andere sagen, schon wieder eine neue Behörde, darf ich an dieser Stelle gleich unmißverständlich klarmachen, daß die KKK als eine vom Senator direkt berufene Fachkommission nun in der Tat alles andere als behördlichen Charakter hat und dies auch übrigens vom Gesetzgeber her gar nicht applikabel wäre, sondern, meine Damen und Herren, bei der Arbeit der KKK geht es um die Koordinierung von Kommunikation in einer Stadt, in der, wie wir wissen, und alle diesbezüglichen Erhebungen belegen das, die Kommunikation als soziale Software eine der großen Zukunftsaufgaben darstellt.«
Er nahm einen Schluck von seinem Saft, schließlich hatte er jetzt schon ein Stichwort angebracht. Und dann mit Verve aufs nächste. »… die soziale Software, der wir natürlich auch die neuen sozialen Bewegungen zurechnen müssen, die Ökologie, die Frauenbewegung, die Spiritualität, die neue Vergeistigung, die Suche nach den Wurzeln des Lebensbaums, liebe Freunde, die Koalition des Regenbogens. Eine solche Software hier in Berlin, in dieser geteilten Stadt, auf dem Prüfstein der Zukunftschancen zu reklamieren, das fordert uns – und das sage ich in meiner Eigenschaft als Vertreter der Kommission für die Koordinierung kultureller Kommunikation ganz offen und mit aller Leidenschaftlichkeit –, das fordert uns auf, Maßstäbe zu setzen, Felder zu belegen, konkrete Synthese, meine Damen und Herren.«
Damit hatte er das zweite Stichwort – Synthese. Es war ein Begriff, in den Berlin paßte wie ein Penner in einen alten Wintermantel. In der Synthese hatten alle Platz, auch die Filzläuse, die jeder mit sich rumschleppte, Sünde durfte gewesen sein, jetzt war Synthese am Ball.
»Ich freue mich«, kam der Redner zum Schluß, »nun heute Abend bei Ihnen im Forum für – im Arbeitskreis« – verständnisvolles Kichern, jeder der Anwesenden hatte einen randvollen Terminkalender, der gewandteste Schnorrer konnte heutzutage unmöglich all seine Gastgeber im Kopf haben – »Pardon, im Institut für physio-soziale Therapie für unsere Arbeit in der Kommission geworben haben zu dürfen, ja, meine lieben Freunde, Sie haben richtig gehört, Werbung gehört in der Tat auch für uns zum Geschäft, nur aus Konkurrenz kann ja Synthese erwachsen, und mit ihr jener Zugewinn an intellektueller und kreativer Kraft, die wir als Stadt brauchen, um auf dem internationalen Feld bestehen zu können. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen einen recht inspirierenden Abend mit unserer Gastgeberin, Frau Dr. Gesine Frenkel
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