Das Schlangenmaul
machen bestimmte Typen überall, wo Evelyn hinkommt, in Redaktionen und Hotelhallen, auf Parties und Vernissagen, angesichts dieser Frau sondern sie sofort Sabber ab, ein Pawlowscher Reflex. Mit siebenunddreißig sah Evelyn fast noch so aus wie mit vierundzwanzig, die gleiche kastanienbraune Löwenmähne, die langen Beine, vielleicht hatte sie um die Hüften etwas zugelegt, vielleicht ein paar Falten am Hals, das Gesicht wurde immer deutlicher beherrscht von ihren grünen Augen und der herausfordernden Nase und dem arroganten Mund, der sich mit dem gleichen kühlen Lächeln über eine Auster oder einen Schwanz hermachen oder ins Telefon säuseln konnte: Siehst du, ich hab es ja immer gesagt, die Geschichte der Malerei muß neu geschrieben werden.
Ich schob mich zwischen sie und den Heimcomputerverkäufer, blies etwas Zigarettenrauch in Richtung Barkeeper, schüttelte eine Handvoll gesalzene Nüsse in den Mund und sagte mampfend: »Na, Schätzchen, wie wär’s mit uns beiden?«
»Dieser Lederschlips sieht affig aus, Harder«, sagte Evelyn und nahm einen Schluck von ihrem Drink – Perrier mit Eis und Zitronenscheibe.
»Hauptsache, du weißt, wie man sich anzieht, Pussycat.«
Sie trug ein lohfarbenes Wildlederkostüm, eine passende Seidenbluse, die wie ein kleines Vermögen aussah, und glitzernde Strümpfe – garantiert mit Straps. Die Wiener Künstler hatten da sehr dezidierte Ansichten. Kein Schmuck außer dem Platinring, für den ich einmal mit einer halben Serie bezahlt hatte, und ihren mexikanischen Silberarmreifen.
»Wenn du noch einmal Pussycat zu mir sagst, laufe ich laut schreiend aus der Hotelhalle, Harder. Rauchst du immer noch diese schwarzen Stinker?«
»Und du Menthol. Ändert sich denn gar nichts?«
»Der schmachtende Blick hat dir schon früher nicht gut gestanden. Und jetzt, wo deine Haare langsam ausfallen …«
»Du siehst mich ganz falsch. Eine ziemlich einflußreiche Dame in Bonn hat mich mal den deutschen Jack Nicholson genannt, nur daß ich eben kein Schauspieler geworden bin.«
»Ein Glück für uns, Harder. Und soviel ich weiß, ist ihr Mann auch nie Minister geworden.«
»Ja, diese sogenannte Wende hat viele von uns aus dem Gleis geworfen.«
»Immerhin sitzt er noch im Bundestag. Und was ist aus dir geworden?«
»Harder bleibt Harder, Evelyn. Barkeeper, einen Wodka-Gimlet für mich, und servieren Sie ihn bitte an einem Sessel, ich hatte einen anstrengenden Tag.«
»Woran arbeitest du im Moment, Harder?«
»An einer Superstory, Evelyn. Mein ganz großes Comeback.«
Ich lag bequem in einem Ledersessel, einen Drink in Reichweite, eine schöne Frau neben mir – meine Exfrau, immerhin. In Hotelhallen hatte ich mich immer wohlgefühlt. Rotwangige englische Verkaufsdirektoren in dunklen Blazern, ein paar Mannequins mit ihren Puppengesichtern, ein Journalist mit Jeansjacke und Kassettenrecorder, der eine schüchterne junge Schauspielerin interviewte. Wie oft hatte ich das gemacht – Playmates, Starlets, Dichter, Rockmusiker. ›Wie fing das alles für dich an?‹ ›Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?‹
»Comeback als was, Harder?«
»Machst du ein Interview mit mir?«
»Ich versuche herauszufinden, wie es um dich steht.«
»Saugut, Evelyn, wie mein Freund Oskar Luckenrieder zu sagen pflegt.«
»Bist du jetzt bei denen gelandet?«
»Ich bin überhaupt nirgendwo gelandet, meine Teure. Ich gehe immer noch meinem alten Gewerbe nach – Sachen rausfinden.«
»Als Journalist hast du damit noch nie richtig angefangen.«
»Wobei du vergißt, daß ich schon Journalismus gemacht habe, als du noch mit deinem Kunstlehrer geflirtet hast.«
»Ich weiß – Harder, der Praktiker.«
»Harder, ab geht er.«
»Von der Unterzeile bis zur Serie. Und wenn sie dich nicht zu oft beim Fälschen erwischt hätten, könntest du jetzt auf einem Redaktionssessel in einem dieser Tittenblätter sitzen und von morgens bis abends Schwänke aus deinem Leben erzählen – die Harder-Story.«
»Was heißt fälschen, Evelyn. An deiner Stelle wäre ich ziemlich vorsichtig mit solchen Begriffen. Wenn ich mir die Geschichte der Kunstkritik ansehen …«
»Einbrechen, stehlen, lügen, Unterlagen verschwinden lassen, frei erfundene Geschichten als Recherchen ausgeben – und das ist nur das, was mir zu Ohren gekommen ist.«
»Ein freier Reporter steht immer mit einem Bein im Knast. Aber wenn man sein Leben lang nur mit sogenannten Künstlern zu tun hat, dann verschwimmt diese Seite unseres Berufes
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