Das Schlangenmaul
bestimmt keine Angst um Miriam. Wenn sie wirklich Angst um sie hätte, wäre sie zur Polizei gegangen – der alte Scheunemann kann in dieser trüben Leine noch eine Menge Schlamm aufwühlen. Warum sollte sie sich ausgerechnet an Sie wenden?«
»Daran sehen Sie, wie verzweifelt Nora ist«, sagte ich. »Sie wendet sich lieber an einen wildfremden Journalisten als an die örtliche Polizei. Die Polizei ist nun mal mit der Politik verbandelt – und mit der Politik sind ja auch gewisse Kreise des organisierten Verbrechens verbandelt.«
Malzan nahm die Zigarre aus dem Mundwinkel, streifte die Asche sorgfältig ab und starrte mich so lange an, bis er die Show mit seinem Lächeln abgezogen hatte.
»Organisiertes Verbrechen? Sie drücken ja ganz schön auf die Tube, Harder. Das Institut für physio-soziale Therapie, in dem Shiva lebt, wird vom Senat gefördert – und Sie reden von organisiertem Verbrechen. Als Journalist wäre ich vorsichtiger mit solchen Behauptungen.«
»Ich habe Ihnen nur die Ängste meiner Auftraggeberin geschildert, Malzan. Ein kurzes Gespräch mit Miriam – oder Shiva und mein Auftrag ist erledigt.«
»Glauben Sie?«
»Was?«
»Ein Auftrag ist meiner Erfahrung nach nie erledigt, Harder. Wenn Sie – wie ich – davon überzeugt sind, daß wir alle nach einem bestimmten Auftrag angetreten sind, ich ziehe den Ausdruck Gesetz v or, dann stehen Sie irgendwann vor der Erkenntnis, daß höchstens der Tod diesen Auftrag erledigt – wenn Sie Glück haben.«
Die Arbeit von Frau Dr. Frenkel-Ahimsa hatte also doch auf ihn abgefärbt. »Ich bin kein Philosoph«, sagte ich und machte die Zigarette aus. »Ich möchte mit dem Mädchen sprechen, Malzan, unter vier Augen, dann ist die Sache gegessen.«
Er legte den Zigarettenstummel in den Ascher und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Abgesehen davon, daß Shiva jetzt schon längst nicht mehr hier ist – was glauben Sie, wie ausgepumpt sie nach so einem Auftritt ist –, interessiert mich zunächst Ihr Motiv an dieser Sache. Ich habe da eine Anzeige gelesen« – er zitierte sie aus dem Kopf- »und frage mich natürlich, Bergungsexperte, was ist das? Ein Aufhänger für eine Reportage? Ein dummer Witz? Oder für wen arbeiten Sie in Wirklichkeit?«
Von draußen Evelyns unüberhörbar hohe Stimme, Gelächter. Es tat gut, zu wissen, daß sie noch die Stellung hielt. Ich nahm die dunkle Brille ab, steckte sie in die Jackentasche und knipste mein Lächeln an.
»Ich arbeite immer nur auf eigene Rechnung«, sagte ich. »Ich glaube, das ist etwas, was wir beide gemeinsam haben.«
»Möchten Sie sich auf diesem Gebiet spezialisieren?«
»Man muß sich spezialisieren, wenn man heutzutage weiterkommen will.«
»In schmutziger Wäsche?«
»Ich glaube, das könnte noch etwas sein, was wir gemeinsam haben.«
»Sie drücken sich etwas unklar aus, Harder.«
»Das meine ich ja.«
»Sie dachten aber an etwas anderes.«
»Schmutzige Wäsche? Einer Mutter ihr Kind zurückzubringen, darin sehe ich nichts Schmutziges.«
»Ein Illustriertenschreiber, der sich solche familiären Zwangslagen zunutze macht – ich hätte geglaubt, daß es in diesem Beruf so etwas wie einen Ehrenkodex gibt.«
Jetzt war es an mir, laut zu lachen, obwohl ein Glas Milch keine gute Grundlage dafür ist. »Wissen Sie, Malzan, mit Leuten wie Ihnen habe ich mich früher zwischen Tür und Angel unterhalten – und dann haben die die ganze Nacht auf die Zeitung gewartet, ob sie nun den Strick nehmen sollen oder nicht.«
Das saß. Einmal Schauspieler, immer eitel. Er stand auf, und als er die Hände auf den Tisch stützte, streifte ihn der Lichtkegel, und ich sah zum ersten Mal seine Augen aus der Nähe – groß und starr und von der Farbe geeister Vergißmeinnicht.
»Ich weiß nicht, warum ich mich mit Ihnen unterhalte«, sagte er leise.
»Weil Drohungen bei mir nichts nützen«, sagte ich.
Hinter mir gab es eine Bewegung, die Tür ging auf, ein Lächeln sprang aus Malzans Gesicht.
»Braucht ihr noch lange, Harder?« rief Evelyn ins Zimmer.
Ich stand auf. »Ich glaube, ich sollte lieber morgen vorbeikommen«, sagte ich, immer noch zu Malzan gewandt, der sich jetzt aufrichtete und seine Krawatte zurechtrückte und Charme versprühte, der noch im Dunkeln Leuchtspuren hinterließ.
»Wer ist denn deine tolle Begleiterin, Harder?« Übergangslos war er beim Du.
»Meine Exfrau«, sagte ich und legte einen Arm um Evelyn, die nur Augen für Malzan hatte.
»Warum kommt ihr nicht mit zum
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