Das Schlangenmaul
einen Herzschlag lang die Maske auf dem Schlangenmaul, die Musik setzte aus, absolute Stille, etwas so Jenseitiges hatte ich noch nie gesehen, und dann setzte die Musik wieder ein, und das Licht verließ die Tänzerin und fiel wieder auf Frau Dr. Frenkel-Ahimsa, »was wir hier gesehen haben, meine Damen und Herren, war ein Ausdruckstanz, erarbeitet und dargestellt von zwei Mitarbeitern unseres Instituts, dessen Arbeit die Bedeutung der Mythologie für die moderne Therapie in den Mittelpunkt stellt, und vergessen Sie nicht: Das Blut der Schlange ist die untergehende Sonne.«
Dunkel, Atemholen, Applaus. Dann ging langsam wieder das Licht im Saal an, aber der Vorhang war noch nicht ganz zugezogen, und so sah ich ihn einen Augenblick lang, er stand mit dem Rücken zum Saal auf der Bühne und war mit dem Schlangenkorb beschäftigt, und einen wie ihn verwechselt man nicht – Albin, der Zwerg, Mr. Horror.
»Was hast du denn, Harder?«
»Ich dachte, ich hätte einen Bekannten gesehen, Evelyn.«
»Die Schlange oder den Tänzer?«
»Das war doch wohl eine Tänzerin.«
»Meinst du? Vielleicht hat jeder das gesehen, was er sehen wollte.«
»Dann bin ich anscheinend der einzige, der immer nur sieht, was er sehen muß.«
»Nun übertreib mal nicht. Aufregend war es ja schon. Aber auch degoutant. Obwohl die Schlange sicher harmlos war.«
»Gibt es überhaupt harmlose Schlangen?«
»Du willst mir nur noch nachträglich Angst einjagen.«
Ich griff gerade nach einem Glas Saft, als die Dame vom Empfang auftauchte.
»Herr Harder? Herr Malzan hätte jetzt ein paar Minuten Zeit für Sie.«
»Bleib in der Nähe«, flüsterte ich Evelyn zu und setzte meine dunkle Brille auf.
22
Das Büro lag zur Straße, man hörte den Verkehr vom Ku’damm. Ein kleiner getäfelter Raum, Schreibtisch, ein paar Freischwinger, ein Metallschrank, alles im Halbdunkel, denn er hatte nur eine Schreibtischlampe brennen, um deren Lichtkegel Zigarrenrauch flutete.
»Ich mag helle Räume nicht«, sagte der blonde Mann in dem dunkelblauen Nadelstreifenanzug, der auf der Tischkante saß, und machte mit seiner Zigarre eine einladende Geste. »Kommen Sie rein, Herr Harder. Ich hoffe, das Licht genügt Ihnen. Ich finde, wenn es nicht so hell ist, hört man genauer zu.«
Sein bayerischer Akzent war so weichgeschliffen, daß man ihn fast für einen Österreicher halten konnte. Er gab mir nicht die Hand, sondern ging um den Schreibtisch herum und machte es sich in dem Stuhl dahinter bequem. Er war ungefähr so groß wie ich und hatte mit der Figur schon größere Probleme, aber dafür waren seine blonden Haare noch sehr dicht, eine dichte, sorgfältig gelegte Welle über einer niedrigen Stirn. Ich nahm den Stuhl vor dem Schreibtisch. Der Lichtkegel streifte mich; Malzan saß praktisch im Dunkeln. Er zog an seiner Zigarre. Die schwere Uhr an seinem Handgelenk schimmerte golden.
»Ich trinke um diese Uhrzeit immer ein Glas Milch«, sagte er. »Aber vielleicht ziehen Sie einen Wodka vor?«
»Milch ist doch ein sehr vernünftiges Getränk«, sagte ich. »Ich leiste Ihnen gern Gesellschaft.«
Er nickte und füllte zwei Whiskytumbler mit Milch, die er aus einem in den Schreibtisch eingebauten Kühlschrank nahm, und schob mir einen davon über die Mahagoniplatte.
»Sehr zum Wohl, Herr Harder. Was kann ich für Sie tun?«
»Sie könnten mich mit Miriam sprechen lassen.«
Seine Stimme verriet nicht die geringste Überraschung. »Miriam? Kenne ich eine Miriam?«
»Ich denke schon. Miriam Schäfer-Scheunemann. Sie werden sich erinnern – die Mutter, Nora. Das Haus in Volksen. Hannover.«
Er rollte ein Lächeln aus, was in seinem fleischigen Gesicht einiges in Bewegung setzte. Das Resultat ließ sich sehen. Noch ein Pluspunkt, den er bei Frauen hatte.
»Miriam Schäfer-Scheunemann! Natürlich kenne ich sie. Aber wie kommen Sie darauf, daß Miriam hier sein könnte?«
»Sie ist seit einem halben Jahr von zu Hause fort und hat sich vorher bei einem Berlinaufenthalt hier in der Bleibtreustraße umgesehen, Herr Malzan. Es wäre unsinnig, das abzustreiten. Wahrscheinlich gibt es ja eine völlig vernünftige Erklärung für ihr Verhalten.«
Er rollte die halb gerauchte Zigarre zwischen den Fingern und betrachtete mich nachdenklich. Es sah sicher nicht so aus, als stellte ich ein großes Problem für ihn dar – aber viele kleine Probleme können auch lästig werden.
»Heinz Harder«, sagte er. »Sie sind Journalist. Ich habe schon Sachen von Ihnen gelesen.
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