Das Schlangenmaul
Essen?« fragte er Evelyn und gab ihr seine Hand, die sie mit angehaltenem Atem nahm. »In Berlin fängt um diese Zeit das Leben doch erst an. Übrigens, meine Freunde sagen Mike zu mir.«
23
Wir gingen chinesisch essen, eine größere Gesellschaft. Mit von der Partie waren eine hübsche Rothaarige in einem schwarzen Hosenanzug, die Malzan als Claire vorstellte (»Claire achtet auf die Abläufe, Harder«), Zernul der Maler, Frau Dr. Frenkel-Ahimsa und ihr indischer Mann (»Wenn Sie nach Madras kommen, müssen Sie uns unbedingt besuchen«) und ein paar Leute, die wie Therapeuten wirkten oder wie deren Opfer (»Ich bin wirklich nicht bhagwangeschädigt, aber …«). Mr. Horror war nicht dabei. Ich vermißte ihn auch nicht.
Wir saßen an einem Bankettisch im Hintergrund des Lokals, wodurch wir zwar um den Blick auf den nächtlichen Ku’damm, dafür aber in den Genuß eines perfekten Service kamen. Die Kellner kannten sogar Zernul und seine besondere Vorliebe für Glasnudeln, die bald seinen Pullover drapierten wie ein Action Painting. Über der Wan-Tan-Suppe wollte Evelyn unbedingt wissen, warum Malzan in Berlin lebte.
»Warum, Berlin, Mike? Warum nicht Paris, London, Wien?«
»Evelyn ist verrückt nach Wien«, erklärte ich. »Vor allem nach den Wiener Künstlern.«
»Lebt man nicht immer da, wo man am besten verstanden wird?«
»Die Berliner verstehen Sie am besten?«
»Berlin«, sagte Malzan und tupfte seinen Mund ab, »hat sich sicher verändert – ich war vorher nie hier, aber die Berliner betonen das ja ständig, wie die Wiener, die Pariser, die Londoner –, für mich hat es aber immer noch mehr Dynamik als jede andre Stadt in Deutschland. Amerika. Nach Berlin geht man noch, um sein Glück zu machen. Wer geht schon nach Stuttgart, um sein Glück zu machen?«
»Ich sprach auch nicht von Stuttgart.«
»Paris oder London, das sind doch nur so Vorstellungen. Wo leben Sie, Evelyn?«
»In Hamburg.«
»Und warum?«
»Weil sie dort einen Job hat«, sagte ich, bevor Evelyn sich über das wunderbare Licht und die strengen Räume und Nolde verbreiten konnte.
»Sehen Sie, und ich bin in Berlin, weil ich hier einen Job habe.«
»Was sind Sie von Beruf, Mike?«
Er schenkte ihr ein Lächeln, das selbst Evelyn mit ihren Wiener Erfahrungen erröten ließ. »Ich bin ein Vermittler.«
»Ein Vermittler? Ist das ein Beruf?«
»Sogar einer der ältesten. Jeder Galerist ist ein Vermittler. Jeder Verleger. Jeder, der etwas produziert, sei es Kunst oder Käse, braucht einen Vermittler. Einen Mittelsmann zwischen sich und dem Markt. Ohne Vermittler gäbe es keinen Markt. Und ohne Markt keine Vermittler.«
»Aber was um Himmels willen vermitteln Sie denn, Mike?«
»Ich kann Ihnen die Hummerkrabben in Spezialsauce wärmstens empfehlen, Evelyn. So gute gibt es in Berlin nur hier.«
Evelyn lachte über diese köstliche Pointe und bestellte eine Portion, obwohl sie ja längst gegessen hatte. Ich aß auch ein paar Hummerkrabben. Sehr delikat. Für Evelyn war das Thema damit aber nicht abgeschlossen. Sie näherte sich ihm auf einem anderen Weg.
»Im Hotel habe ich gehört, daß man hier ein riesiges Las Vegas aufziehen will, ein High-Tech-Las Vegas. Unterhaltungsindustrie plus Silicon Valley plus Gunstgewerbe in allen Spielarten. Ist das die Zukunft der Stadt?«
»Ich glaube, es ist schon die Gegenwart«, sagte Malzan. »Ich spiele selbst auch ganz gern.«
»Mike ist ein leidenschaftlicher Spieler«, sagte Claire mit ihrem leichten französischen Akzent. »Wissen Sie, was ein leidenschaftlicher Spieler ist? Einer, der mit allem spielt.«
»Dann sind Sie also ein Berufszocker, Mike?«
Er saß zwar ziemlich im Schatten, aber wir konnten das amüsierte Glitzern seiner kalten Augen gut erkennen. »Jeder Job, bei dem man ein Risiko eingeht, ist ein Spiel mit hohen Einsätzen. Jedenfalls ist Berlin das richtige Pflaster für jemand wie mich.«
»Wo kommen Sie her, Mike?«
»Von sehr weit weg, Evelyn.«
»Bayern ist doch nicht so weit weg.«
»Ich meinte damit auch keine geographische Angabe. Und warum bist du in Berlin, Harder?«
»Unterwegs in Sachen Mythos, wie Frau Dr. Frenkel«, sagte ich, und damit war aus dem Thema endlich die Luft raus. Aber nicht aus dem Thema ›Heiteres Beruferaten‹.
»Wie wird man das, was Sie jetzt sind, Mike?« wollte Evelyn wissen.
»Zum Nachtisch empfehle ich gebackene Ananas.«
»Evelyn darf man nicht so ernst nehmen«, sagte ich. »Sie glaubt immer noch, daß Journalismus aus
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