Das Schlangenmaul
Nicht ganz seriös, die Sachen, aber unterhaltsam. Und jetzt machen Sie, wie heißt das auf Ihrer Visitenkarte – Expertisen, Bergungen, Internationaler Informationsaustausche Mag sein, daß ich phantasielos bin, aber ich kann mir nichts rechtes darunter vorstellen. Sind Sie so eine Art Privatagent?«
»Frau Schäfer-Scheunemann hat mich jedenfalls damit beauftragt, ihre Tochter zu suchen.«
Er trank in einem Zug den Rest Milch in seinem Glas. Am kleinen Finger seiner linken Hand schimmerte ein goldgefaßter blauer Stein. Er stellte das Glas ab, nahm einen Zug von seiner Zigarre und betrachtete mich noch etwas eingehender. Von draußen kam undeutlich Stimmengewirr. Aufbruch der Gäste.
»Frau Schäfer-Scheunemann«, sagte er dann. »Die Heilige, so hieß Nora bei manchen Leuten. Sie hat so etwas, finden Sie nicht? Obwohl sie natürlich auch sehr temperamentvoll sein konnte. Und dann wieder diese langen depressiven Phasen da draußen am Deister …«
Er schob eine Kassette in das Deck auf dem Schreibtisch, und Jazz erklang aus den Lautsprecherboxen, die zwischen Büchern und Aktendeckeln auf einem schwarzen Regal standen.
»Miles Davis«, sagte Malzan. »The Birth of Cool. 1949/50. Ein Genie, für mich.«
»Ein bißchen zu perfekt für meinen Geschmack.«
»Cool.«
»Kalkuliert.«
»Ja, Sie vermissen wahrscheinlich das Gefühl. Oder die Gefühle.«
Ich war nicht gekommen, um mir einen Vortrag über Miles Davis anzuhören. Ich steckte mir eine Zigarette an und sagte: »Herr Malzan, was ich vermisse, das ist nicht Gefühl, sondern Wahrheit.«
»Wahrheit?« Er lachte. »Herr Harder, Sie müssen schon entschuldigen, aber Sie sagen das in einem Tonfall, als hätten Sie eine klare Vorstellung von Wahrheit. Wie sie ausschaut, wie man sie abfüllt, womit man sie nach Hause transportiert, was sie zum Abendbrot ißt. Für mich ist Wahrheit ein Phantom, Herr Harder. Ein Phantasieprodukt, wie Ihre Berichte in den Illustrierten. Hab ich Sie jetzt gekränkt?«
»Sie kränken mich nicht, aber Sie schweifen ab. Ich bin hierhergekommen, um Ihnen ein paar konkrete Fragen zu stellen, und Sie erzählen mir nichts als Schmäh.«
»Schmäh, so.«
»Und angesichts der Tatsache, daß einer Ihrer Mitarbeiter mich vorgestern Nacht am Telefon bedroht hat …«
»Womit bedroht?«
»Ich würde sagen, er hat mich mit dem Tod bedroht, Herr Malzan. Er hat mich damit bedroht, daß er das Haus anzündet, in dem ich wohne. Ein Hochhaus. Ein Haufen Tote, damit ich keine Fragen stelle nach dem Verbleib von Miriam Schäfer-Scheunemann. Ich finde, als Bedrohung macht sich das schon ganz ordentlich. Und ich habe etwas gegen Bedrohungen dieser Art.«
»Das hätte ich auch.«
»Wenn ein Mädchen verschwindet, noch dazu aus dieser Familie, dann kann man nicht argwöhnisch genug sein. Und wenn man dann noch am Telefon bedroht wird …«
»Sind Sie sicher, daß das Ihnen galt?«
»Allerdings.«
»Und daß es einer meiner Mitarbeiter war?«
»Allerdings. Ich habe ihn gerade erst gesehen. Hier.«
»Das macht ihn aber noch nicht zu einem meiner Mitarbeiter, Herr Harder. Sie glauben doch nicht, daß ich im Institut für physio-soziale Therapie arbeite?«
»Wie Sie das nennen, juckt mich nicht. Ich möchte das Mädchen sehen.«
Er blies einen Rauchring, der vom Lichtkegel atomisiert wurde. »Was bringt Sie eigentlich auf den Gedanken, daß Miriam verschwunden ist, Harder? Hat Ihnen die Vorstellung vorhin nicht gefallen?«
Na also. »Doch, eine gute Show. Und da sie für heute Abend vorbei sein dürfte, spricht doch nichts dagegen, daß ich ein paar Minuten mit Miriam spreche.«
»Miriam Schäfer-Scheunemann heißt jetzt Shiva. Sie mögen es für Schwachsinn halten, wenn sich ein Mädchen aus Volksen im Landkreis Hannover einen indischen Götternamen zulegt, aber ich finde, jeder von uns hat das Recht auf den Namen, mit dem er sich identifizieren kann. Wissen Sie, warum Frau Dr. Frenkel sich Ahimsa nennt? Weil Ahimsa in Hindi Gewaltlosigkeit heißt. Und wenn sich Miriam Shiva nennt, dann heißt das in erster Linie, daß sie mit ihrem früheren Leben und ihrer Familie nichts mehr zu tun haben will. Wenn Sie mich fragen, ich kann das verstehen. Wozu sollte sie mit Ihnen sprechen?«
»Ganz einfach: weil ihre Mutter Angst hat, daß sie nicht mehr am Leben ist.«
»Meinen Sie?« Er schlug die Beine übereinander und lockerte die dunkle Strickkrawatte, die er zu einem weißen Hemd trug. »Glauben Sie mir, Harder, Nora Schäfer-Scheunemann hat
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