Das Schlangenmaul
Fragen und Antworten besteht.«
»Und woraus besteht er deiner Ansicht nach?«
Ich erinnerte mich an Kleppinger bei den Catchern. »Wenn einer hinfällt, ihm in die Fresse treten«, sagte ich und trank meinen Jasmintee aus.
»Man sieht ja, wohin du es damit gebracht hast«, sagte Evelyn mit ihrer spitzen Mach-mich-nicht-an-Stimme.
»Weit«, sagte ich und blickte Malzan an. »Ich bin jetzt auch ein Vermittler.«
Evelyn hatte ihr Stichwort. »Was du vermittelst, Harder, das kann ich mir vorstellen. Aber ich würde zu gern wissen, was Mike vermittelt – außer Soirées mit Schlangentanz.«
»Mit dem Institut habe ich nur ganz am Rand zu tun«, sagte Malzan mit Managerflair und setzte eine Zigarre in Brand. »Ich mache der Frau Gesine nur das Geschäftliche, die Kontakte zur Wirtschaft, das bissel Organisatorische. Man hilft den Leuten halt aus Sympathie, weil man diese Arbeit wichtig findet.«
»Was ist das für eine Arbeit?«
»Ja, Therapie, was ist das? Arbeit am Menschen.« Er nahm noch einen Zug, blies eine perfekte Rauchwolke, runzelte die Stirn, in die eine blonde Locke fiel. »Es gibt ja in dieser Stadt einen hohen Anteil von Kaputten. Und eben nicht nur in den Slums. Da am wenigsten. Die meisten kaputten Existenzen haben eine gute Adresse, ein gutes Einkommen, gute Beziehungen. Und innerlich sind sie völlig zerstört. Also ich glaube, diese Art Arbeit trägt zur Hygiene der Stadt bei, zu ihrer Moral. Wir müssen die Stadt ja halten. Sogar erneuern. Deswegen finde ich es auch richtig, daß das Institut jetzt vom Senat gefördert wird. Mit vielen anderen Gruppen und Einrichtungen, die diese Arbeit am Menschen leisten.«
»Dann muß das ja ein ziemlich lukratives Unternehmen sein«, sagte ich.
»Typisch, Harder«, sagte Evelyn. »Was mich interessiert, ist diese Therapie selbst. Was wird da genau gemacht – Malerei und Schlangen, und was noch?«
»Fragen Sie doch Frau Dr. Frenkel-Ahimsa«.
Malzan hob seine Stimme nur unmerklich, hatte aber sofort die Aufmerksamkeit aller am Tisch bis auf Zernul, der mit dem Kopf in der Reisschüssel eingenickt war, eine Batterie leerer Sake- und Bierflaschen vor sich. Farbstrecke ade, dachte ich.
»Aber freilich, meine Liebe«, sagte Frau Dr. Frenkel-Ahimsa mit ihrem Tempelglöckchenklang. Aus der Nähe sah sie wie eine Walküre im Sari aus – eine Walküre mit blauen Haaren. Ihre dicken Finger rückten die Schildpattbrille zurecht, die sie beim Essen trug. »Im Mittelpunkt unserer Therapie steht natürlich die Meditation, in der wir versuchen, den ganzheitlichen Kreis, der so lange unterbrochen ist, zu schließen …«
Das Tempelglöckchen klingelte sich durch Selbstheilung, Karma, Wiedergeburt und den Verlust der mythischen Erfahrung, der nur durch eine Rückkehr zu den Quellen auszugleichen war. Ihr Mann, Geschäftsführer von Vishnu Food und Magic Air & Transport, nickte und bestellte eine zweite Portion überbackene Ananas. Mit Sahne.
»Ich verstehe ja«, sagte Evelyn, die überhaupt nichts verstand, »aber wie ist das mit den Schlangen? Glauben Sie, daß der Umgang mit Schlangen bei Schizophrenen eine ähnliche Funktion haben kann wie der mit Kunst?«
»Darüber kann ich Ihnen leider nichts sagen, meine Liebe. Die Arbeit mit den Schlangen ist bei uns denen vorbehalten, die schon in ihren Mythos eingedrungen sind.«
»Dann gibt es also doch einen inneren Kreis bei Ihnen«, sagte ich. »Geistig und räumlich.«
Sie lächelte verständnisvoll und ein bißchen erhaben. »Wenn Sie sich für unsere Arbeit interessieren, würden wir uns freuen, Sie wieder einmal bei uns begrüßen zu dürfen.«
Die anderen Therapeuten saßen da wie eine Wand aus Mißtrauen. Evelyn konnte man damit allerdings nicht so leicht abschrecken.
»Können Sie mir denn sagen, welche Art von Krankheit Sie mit Ihrer Therapie zu heilen versuchen? Ich könnte mir vorstellen, daß es Neurosen gibt, die …«
Frau Dr. Frenkel-Ahimsa hob ihre Stimme. »Sehen Sie, meine Liebe, Ihre Frage ist für uns schon das Symptom einer Krankheit. Soviel Fragen, so wenig Antworten – das ist ein Leiden der westlichen Kultur.«
»Ich hätte trotzdem noch eine Frage«, sagte ich. »Diese Kobra bei dem Tanz vorhin – war die giftig?«
Sie lächelte, eine Buddha-Walküre in Berlin 15. »Junger Mann, glauben Sie, daß der Erleuchtete die Schlange, die ihm Schatten spendete, gefragt hat, ob sie giftig sei?«
24
»Ich will nach Haus«, flüsterte Evelyn. Sie hatte den Kopf an Claires Schulter gelehnt,
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