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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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starrte mich aber an und rieb mit einer Schuhspitze an meiner Hose. »Ciao, Berlin. Ciao, Vermittler. Ciao, Mythen.«
    »Hier ist es doch nett«, sagte ich und nahm einen Schluck Wodka.
    In der Paris-Bar hockten nach Mitternacht die Habitués. Dramatiker aus Ost-Berlin auf dem Weg ins Bordell, Szene-Journalisten auf der Suche nach einem Abstauberfick oder einer Dosis Schnee, aufstrebende Avantgardisten aus dem Schwäbischen und den Grazer Vorstädten, die auf den Anschluß nach New York warteten, Modedesigner, die in Kreuzberger Hinterhöfen den Bettel-Look der achtziger Jahre entwarfen, angeschickerte Filmproduzenten, die bei jedem Anruf zusammenzuckten: »Wenn es Hollywood ist, ich ruf zurück.« Malzan schlürfte Maltwhisky. Claire nippte Champagner. Ich schnupperte am Wodka. Und Evelyn tat so, als sei sie sinnlos betrunken.
    »Mein Traum ist es immer gewesen«, sagte Malzan, »eine Bar zu haben in Berlin. Eine Bar auf einem Turm, der sich dreht, wie das Restaurant auf dem Fernsehturm drüben, mal siehst du nach Osten, mal nach Westen. Als ich das erste Mal hier war, Mitte der Siebziger, war die erste Kneipe, in die ich kam, die Paris-Bar.«
    Hatte er vorhin nicht erzählt, er wäre noch nie in Berlin gewesen? Es schien nur mir aufzufallen. Ich war auch der einzige, der einen Grund hatte, ihm genau zuzuhören. Einen 20000-Mark-Grund. Obwohl ich mir bei Evelyn auch nicht ganz sicher war.
    »Hab ich noch gekannt«, sagte ich, unterwegs in Sachen Gemeinsamkeit. »Die zerschlissenen Polster, die alten Plakate, die hinkenden Kellner. Zwiebelsuppe und roter Landwein in der Karaffe und blutige Beefsteaks und Studentinnen mit Baskenmützen und Feuilletonisten mit dem Frühstücksei auf dem Schlips. Eine andere Epoche.«
    »Ich saß da und dachte, damit fängst du an. Mit der ersten Million kaufst du den Laden samt den Karaffen und Kellnern, lernst das Gewerbe, und von da aus nimmst du Kurs auf die Bar, auf die Drehscheibe.«
    »Das hat dann aber etwas zu lange gedauert mit der ersten Million.«
    »Die ist noch in Arbeit«, gab er zu. »Aber selbst wenn ich sie hätte, würde ich sie nicht mehr in diesen Laden stecken.«
    »Aus der Traum?«
    »Modifiziert. Aber du mußt zugeben, Harder, was könnten wir aus dieser Stadt machen, wenn sie uns ließen.«
    »Las Vegas 2000? Davon träume ich nicht.«
    »Wovon träumst du denn?«
    »Ich hab neulich vom Krieg geträumt.«
    »Das kommt nur von dieser Stadt«, sagte Evelyn, immer noch die Löwenmähne an Claires Schulter. Claires Augen waren die einzigen in der Paris-Bar, die wirklich träumten.
    »Ich hab geträumt, daß ich gerade an einer Serie saß, als der Krieg ausbrach. Ich kam mit der Serie nicht klar, und mein Chef meinte, dann mach eben den Krieg, mach aus dem Krieg eine Serie.«
    »Da sieht man, was für ein Schweinejob das war, Harder«, sagte Evelyn.
    »Es gibt harmlosere Jobs«, gab ich zu.
    »Siehst du«, sagte Malzan, »du hast auch deinen Traum. Du träumst von der einzig wahren Zeitschrift, so wie ich von der einzig wahren Bar geträumt habe, und wir beide sind in dieser Stadt gelandet, weil es nur hier die einzig wahre Zeitschrift und die einzig wahre Bar geben sollte.«
    »Das hört sich an, als wolltest du mir eine Art Angebot machen.«
    »Man könnte darüber nachdenken.«
    »Ich hab aber schon einen Job. Ich soll Miriam nach Hause bringen.«
    Er lächelte wie jemand, dem langsam die Geduld ausgeht mit der Dumpfheit seiner Mitmenschen, aber was soll er machen dagegen? Vor allem, wo er doch so gut erzogen ist. Ich hielt mich an seine Augen. Im Licht der Bar hatten sie die Farbe von Haifischflossen.
    »Ich dachte, du hättest begriffen, daß dein Auftrag – geh aus und suche mein Kind – bereits erledigt ist. Du hast Miriam gesehen. Sie ist wohlauf, heißt jetzt Shiva und möchte von allem, was war, nichts wissen.«
    »Und wenn sie mir das selbst erzählt, und dann noch ihrer Mutter, könnten wir anfangen, es zu glauben. Aber auch nur dann. Bis dahin lasse ich nicht locker, Malzan. Nicht einen Augenblick.«
    »Laß sie doch mit ihm sprechen«, sagte Claire, die vielleicht doch nicht nur mit Träumen beschäftigt war.
    »Na gut«, sagte er. »Obwohl es mir gegen den Strich geht. Wenn du wüßtest, was dieses Mädchen mitgemacht hat, Harder, dann würdest du verstehen, warum wir sie abschirmen gegen ihre Vergangenheit.«
    »Ich weiß, was ihre Mutter mitgemacht hat.«
    Sein spöttischer Blick verriet mir, was er dachte. Gar nichts weißt du, Harder. Gar nichts.

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