Das Schlangennest
eigentlich nichts mehr verloren", bemerkte Earl Forest. "Wo ist Nancy? Ist es nicht ihre Aufgabe dafür zu sorgen, daß die Kinder pünktlich im Bett liegen?"
"Ich habe vom Gangfenster aus Tante Daphnes Wagen ges ehen", nahm Robert das Kindermädchen in Schutz. "Wir wollten nur hinuntergehen, um meine Tante zu begrüßen."
"Was sehr lieb von euch ist." Daphne strich ihm durch die Ha are. "Aber jetzt geht besser wieder hinauf. Ich werde nachher noch einmal nach euch sehen." Sie küßte Joyce auf die Stirn. "Versprochen."
Das kleine Mädchen zögerte einen kurzen Augenblick, dann erwiderte es hastig den Kuß, bevor es sich aus Daphnes Armen löste und mit seinem Bruder in den ersten Stock z urückkehrte.
"Seid ihr mit Joyce schon beim Arzt gewesen?" fragte Daphne, als die Kinder außer Hörweite waren.
"Joyce braucht keinen Arzt, nur etwas Ruhe", erklärte Earl Forest. "Immerhin hat sie einiges zu verkraften. Der Tod ihres Vaters war ein großer Schock für sie. Dazu muß sie jetzt noch damit fertigwerden, daß er von ihrer eigenen Mutter erstochen wurde."
"Meine Schwester hat Ihren Onkel nicht ermordet, Earl."
"Wer außer ihr käme sonst in Frage?" Der Verwalter verzog die Lippen zu einem verächtlichen Grinsen. "Oder glauben Sie etwa in diese Geistergeschichte, die Ihre Schwester uns weismachen wollte? Ich bin ein Mann, der mit beiden Beinen fest im Leben steht und ich weiß, daß Geistererscheinungen in das Reich der Phantasie gehören. Mag sein, daß mein Onkel damals Unrecht getan hat, doch Maud Willis liegt seit vielen Jahren unter der Erde. Dadurch ist eines gewiß. Sie hat ganz bestimmt nichts mit seiner Ermordung zu tun."
"Genauso wenig wie meine Schwester, Earl", antwortete D aphne unbeeindruckt. "Vielleicht sollten Sie einmal darüber nachdenken, daß ganz bestimmt nicht jeder, der innerhalb dieser ehrwürdigen Mauern lebt, Ihren Onkel geliebt hat."
"Ich meine, es reicht für heute", warf Claudine Forest ein. Sie schenkte Daphne ein Lächeln. "Sie werden sicher sehr müde sein. Ich werde dafür sorgen, daß man Ihnen noch einen Imbiß auf I hrem Zimmer serviert. Morgen früh wird Sie dann der Rest der Familie begrüßen."
"An Ihrer Stelle würde ich sofort wieder abreisen, Daphne, wir brauchen Sie hier nicht", sagte Earl Forest. Er warf ihr einen a ngewiderten Blick zu und kehrte in den Salon zurück.
"Bitte verzeihen Sie meinem Sohn", bat Claudine, als sie mit der jungen Frau die Treppe hinaufstieg. "Richards Tod war ein schwerer Schlag für ihn. Es wird einige Zeit dauern, bis er darüber hi nweggekommen ist."
Daphne zog es vor, ihr darauf nicht zu antworten. Sie kannte Earl Forest gut genug, um zu wissen, daß es nur einen einzigen Menschen gab, den er liebte, nämlich sich selbst. Zudem hielt sie ihn für einen sehr berechnenden Mann, der niemals auch nur einen Finger rührte, wenn er sich nicht davon eine Belohnung ve rsprach.
"So, da wären wir, Daphne." Claudine blieb vor einer hohen Tür stehen. "Sie kennen sich ja auf Hammond Hall aus. Ihnen muß ich nicht erst sagen, daß nächtliche Geräusche völlig normal für ein so altes Gemäuer sind. Nur dumme, unwissende Leute gla uben, daß diese Geräusche von den Geistern Verstorbener hervorgerufen werden."
"Sie müssen sich um mich nicht sorgen, Claudine", versicherte Daphne.
"Dann bis morgen früh." Claudine sah sie an. "Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen wiedergesehen." Sie straffte die Schultern. "Im Grunde sind wir beide Opfer. Ich habe meinen Bruder sehr geliebt, Sie lieben Ihre Schwester. Wir können nur beten, daß nicht ein weiteres Unglück unsere Familien trifft."
Daphne öffnete die Tür. Ihr Gepäck war bereits nach oben g ebracht worden. Es stand neben dem breiten, sehr bequemen Bett. Der ganze Raum strahlte eine Behaglichkeit aus, die der jungen Frau in dieser Situation völlig unpassend erschien. Sie ging zum Fenster und öffnete es weit. Kühle Nachtluft streifte ihr Gesicht.
Daphne ließ sich nicht viel Zeit. Sie duschte rasch und zog sich einen Morgenrock über ihr Nachthemd, dann machte sie sich auf den Weg zu den Kinderzimmern, die am anderen Ende des Ganges lagen.
Robert hatte bereits auf sie gewartet. Er sprang aus dem Bett und schloß die Arme um sie. "Wir sind so froh, daß du da bist, Tante Daphne", gestand er erneut. "Joyce auch, obwohl sie es nicht sagen kann." Er blickte zu ihr auf. "Wann wird Joyce wieder sprechen können? Ich habe solche Angst."
"Das weiß ich nicht, Bobby, aber
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