Das Schlangenschwert
offenen Schatulle lag Schmuck. Teilweise aus Gold, Silber und Edelsteinen, zum Teil dermaßen selten und teuer, dass er sogar mir ein Begriff war, da ich den Schmuck in allerlei Fernsehfilmen und Nachrichtensendungen gesehen hatte. Zum Beispiel gab es da ein Collier aus »unsichtbaren Diamanten«, sie hießen wissenschaftlich irgendwie anders, aber das hatte ich vergessen. Ich ging mit dem Collier zum Fenster und schaute es im Licht an. Alle Achtung! Als ob sich in der Platinfassung nichts befinden würde, als ob sich die winzigen Diamantensplitter, die auf die unsichtbaren Diamanten aufgeklebt waren, von alleine in der Luft hielten. Ich berührte sie – da waren sie, die unsichtbaren Steine. Auf dem größten verblieb fast unsichtbar mein Fingerabdruck. Cool.
Außerdem waren da noch Ohrringe mit Empathiesteinen, die ihre Farbe in Abhängigkeit von der Stimmung des Trägers wechselten. Ich führte einen Ohrring an mein Gesicht und der Stein wandelte sich von Milchweiß in Knallrot. Natürlich, ich war ja aufgeregt... Diesen Schmuck zu tragen riskieren nur Leute, die absolut von sich überzeugt sind – denn anderenfalls können alle erkennen, wenn man aufgeregt oder erschrocken ist oder versucht zu lügen.
Nachdem ich den Schmuck in die Schatulle zurückgelegt hatte, stellte ich sie an ihren Platz zurück. Ich war kein Dieb und würde nichts nehmen. Obwohl man für ein beliebiges Teil von diesem Tand...
Was könnte man?
Die Lebenserhaltungssysteme auf Karijer bezahlen?
Mama und Papa würden nie wieder zurückkommen.
Also brauchte ich nichts.
Ich lief durch das Zimmer und blickte auf die Uhr. Es war noch zu früh. Daraufhin untersuchte ich den Nachtschrank und fand dort weitere Bücher – Wirtschaftsliteratur und Romane. Ich nahm ein Bändchen von Hiroshi Moto (jetzt war klar, von wem Alexander den Krimi hatte, um ihn vor dem Einschlafen zu lesen) und schlug die Erzählung »Der Fall des freigiebigen Intellektuellen« auf. Die Kriminalgeschichten von Hiroshi Moto waren deshalb so gut, weil man sie immer wieder lesen konnte, auch wenn man schon wusste, wer der Verbrecher war. Aber dieses Buch kannte ich noch nicht.
Ich wagte nicht mich aufs Bett zu setzen. Es war außergewöhnlich akkurat gemacht und die Sessel sahen zu verlockend bequem aus. Wenn ich mich jetzt hineinsetzen würde, könnte ich mich festlesen und nicht bemerken, dass die Bermanns kamen. Deshalb setzte ich mich auf einen Stuhl neben die Tür, öffnete sie einen Spalt, um die leisesten Geräusche von unten zu hören, und begann, die Abenteuer des im Reagenzglas gezüchteten Detektivs und seines treuen Freundes zu lesen.
Zuerst konnte ich mich nicht darauf konzentrieren, aber bald wurde ich ruhiger und begeisterte mich so an der Handlung, dass ich fast bis zum Ende las. Alles war sehr verwirrend, aber endlich sprach der Detektiv seine berühmten Worte:
»Sicher, ich bin lediglich ein Klon, aber wenn Sie wüssten, zu welchen Gemeinheiten ein echter Mensch manchmal fähig ist! Also stellen wir uns die Bibliothek vor drei Tagen um Mitternacht vor. Das Licht erlischt und in der nächtlichen Stille ist ein leises Rascheln zu hören. Nur Sie, die hier Anwesenden, konnten die Diskette aus dem überstürzt geöffneten Safe nehmen. Nicht wahr, Oberst?«
»Was meinen sie damit?«, schrie der Offizier auf und ließ die Zigarette fallen. »Ich wurde wie alle anderen durchsucht! Wo hätte ich diese verdammte Diskette denn verstecken können?«
»Eben das störte mich, denn den Namen des Verbrechers kannte ich von Anfang an...«
In diesem Augenblick vernahm ich unten Schritte. Kurz darauf war Lärm zu hören... Wurde die Eingangstür geöffnet?
Ich sprang auf und schlug das Buch zu, ohne zu erfahren, wer die Diskette gestohlen hatte – der Oberst Howard, die Nonne Anastasia, der Hacker Owen oder einer der Musikanten des Sinfonieorchesters. Ich schloss die Tür und lief durchs Zimmer, ohne mich entscheiden zu können, ob ich das Buch an seinen Platz legen oder mit mir nehmen sollte. Ich beschloss es zurückzulegen, öffnete das Buch beim Hineinlegen ins Nachtschränkchen aber schnell auf der letzten Seite:
»Ja, genau so, mein Freund. Und das ist das Ende der steilen Karriere der zweiten Posaune.«
Sieh an! Der zweite Posaunist, der in die Dirigentin verliebt war! Das hätte ich nicht gedacht!
Schnell schaute ich mich im Zimmer um, ob alles in Ordnung war und stürzte ins Bad. Ich stellte mich rechts hinter die Tür neben die Wanne. Die Zeit der
Weitere Kostenlose Bücher