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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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blieb stehen. Und schritt auf Befehl der Schnee sofort wieder voran. Und hielt wieder inne. Und lief wieder. Aus dem Gesicht der Schnee verschwand sämtliche Gutmütigkeit, jetzt glich sie nicht einer liebevollen Großmutter, sondern einer wütenden Megäre. Und die Direktorin Neige erinnerte an eine verrückte Feministin des dunklen Zeitalters. Natascha lief neben mir und schaute sich erschrocken um, konnte aber ebenfalls nichts machen. Nur dass sie die Lippen bewegte, als ob sie jemanden... ihren Opa? ... zu Hilfe rufen wollte, aber nicht konnte.
    Schnee fing an zu lachen. Letztendlich gingen wir zu ihr. Wir zappelten wie Marionetten am Faden, aber wir gingen. Jetzt war es wichtig für sie, mit mir und Stasj abzurechnen, die Macht über die Welt war ihr egal. Vielleicht hoffte sie darauf, dass Stasj Selbstmord begehen würde, wenn wir vor seinen Augen umkamen?
    Vielleicht käme es auch wirklich dazu...
    »Ihr hört auf niemanden außer auf mich!«, befahl Neige auf einmal. Es war, als ob einem Watte auf die Ohren gedrückt wurde. »Geht an den Rand der Plattform und springt in den Kessel!«
    Sie war verrückt!
    Dorthin würde ich nicht gehen!
    Aber meine Beine zogen mich gehorsam nach vorn. Ich fing an zu schreien.
    In diesem Augenblick zwängte sich zielgerichtet etwas Eisernes mit wild kreisenden Rädern zwischen mich und Natascha, warf uns auf den Boden und umhüllte uns mit Abgasen und Motorenlärm!
    Die Hand des alten Semetzki umklammerte den Joystick an der Lehne des Rollstuhls. Es war wirklich ein sehr altes Modell, es wurde nicht ausschließlich durch den Neuroshunt, sondern auch von Hand bedient!
    Es gelang mir, einen Blick auf das von Schreck verzerrte Gesicht Alla Neiges und den Feuer speienden Blaster in der Hand der Schnee zu werfen. Dann wurden sie vom Rollstuhl Semetzkis wie von einem Feuer speienden Boliden gerammt. Neige wurde in die Luft geschleudert und flog über den Rand, Schnee wurde umgefahren und mitgerissen. Nach vorn, auf den Rand der Plattform zu.
    Wie in Zeitlupe kippten beide in den Abgrund und klare Tropfen spritzten durch die Luft.
    Ich wandte meinen Kopf ab. Um mich herum schien alles verlangsamt und dämmrig. Auch Stasj, der mit einem energischen Ruck seine Handschellen an der Stelle zerriss, auf der sein blutiger Speichel gelandet war, wirkte bedächtig und behäbig. Mit der freien Hand schlug er sich in den aufgeblasenen Bauch, das Seidenhemd zerriss und gab das blinkende Band einer Peitsche frei, die sofort in den Ärmel kroch und das Strahlenwerfermaul aufriss. Die männlichen Klone hatten das Feuer bereits eröffnet, feurige Strahlen zogen an mir vorbei, aber aus der Peitsche entsprang eine Regenbogenwelle, welche die Schüsse der Blaster abwehrte. Alex sprang irgendwie ungeschickt, aus der Handfläche des jungen Phagen blitzte etwas auf und summte dicht an meinem Ohr vorbei. Dann knickte Alex ein und bewegte sich nicht mehr und Stasj hörte auf zu schießen.
    Die Klone lagen als schwarze, verkohlte Masse da. Aus der Augenhöhle des einen ragte ein kleiner, goldener Pfeil – ich glaubte, dass er aus Alex’ Armbanduhr entstanden war, die plötzlich ihre Form verändert und sich gestreckt hatte.
    Und meine Beine trugen mich zum Rand der Plattform. Der Befehl der toten Psychopatin Alla Neige wirkte noch immer! Ich schaute mich um – Stasj beugte sich über Alex, Natascha lag bewegungslos. Sie hatte Glück. Offensichtlich hatte sie vor Schreck das Bewusstsein verloren.
    Ich will nicht!
    Jetzt will ich auf gar keinen Fall! Es ist doch letztendlich alles gut ausgegangen!, dachte ich.
    Der Putsch ist misslungen! Die Menschen werden normal! Frau Präsidentin Snow wird ergriffen und aufgehängt! Ich will nicht in das Lösungsmittel springen, ich bin lebendig, ich bin ein guter Mensch, ich möchte in die Schule gehen, Fußball spielen und Trickfilme schauen! Nein!
    Ich klammerte mich an das Geländer am Rand der Plattform. Unter mir schwammen drei graue, trübe Wolken... und ein dünner, vor meinen Augen schrumpfender und sich auflösender Rollstuhl in einem riesigen, mit klarer Flüssigkeit gefüllten Keramikkessel.
    Ich will nicht!
    Meine Füße schritten über den Rand und ich schloss die Augen.
    Ein starker Ruck warf mich zurück auf die Plattform. Stasj beugte sich über mich, und ich las ihm entweder von den Lippen ab oder spürte ganz einfach seinen Befehl: »Nicht nach unten springen!«
    Die Welt füllte sich wieder mit Stimmen. Der junge Phag Alex weinte und schluchzte leise.

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