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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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nicht unheimlich?«, wollte ich wissen.
    »Nein. Ich bin damit schon ausgesetzt worden. Na ja, nicht wirklich, sondern im Traum.«
    Ich ahnte, in welchen Träumen, und deshalb fragte ich gar nicht erst nach.
    »Mach dir keine Gedanken!« Lion schaute mich beschämt an. »Hyperstabiles Eis ist eine zuverlässige Sache. Es beginnt zu verdampfen, wenn wir in die Atmosphäre eintreten. Vor uns wird sich eine Plasmawolke bilden, aber das verdampfende Eis schafft einen Puffer aus Dampf. Es ist alles durchdacht. Dann bilden sich die Flügelblätter und wir beginnen mit der Autorotation.«
    »Und wenn wir auf Felsen stürzen?«
    »Das wäre schlecht«, meinte Lion. »Da kann man sich ordentlich was brechen. Tja, und wenn wir mitten im Meer landen und es nicht ans Ufer schaffen...«
    Er zog mich natürlich auf. Tien sagte, dass die Landestelle auf zehn Kilometer genau berechnet war und wir im Wald landen würden. Deshalb müsste man sich darum keine Sorgen machen. Jetzt verstummte aber auch Lion. Er konnte immer noch nicht gut schwimmen. Vor der Landung in der Stealthkapsel hatte er keine Angst, aber das Wasser flößte ihm nach wie vor Furcht ein.
    »Ich rette dich, wenn es so weit kommen sollte«, versprach ich. »Ich schlage dich bewusstlos und ziehe dich dann an den Haaren heraus.«
    »Es darf aber nicht wehtun«, bat Lion mit ernstem Gesicht.
    Wir schwiegen. Beide hatten wir eine Uhr, wollten jedoch nicht nach der Zeit schauen. Die Ziffern wechselten unendlich langsam, es schien, als ob sie eingefroren wären.
    »Kennst du Horrorgeschichten?«, fragte Lion interessiert.
    »Klar!«
    »Erzählst du eine?«
    Dummerweise fielen mir aber gerade jetzt keine ein! Ich erinnerte mich nur an eine völlig blödsinnige für Kleinkinder.
    »Ein Junge kommt von der Schule nach Hause«, begann ich. »Und plötzlich sieht er, dass seine Eltern auf dem Tisch ihre Sozialkarte vergessen hatten. Nicht etwa, dass sie unordentlich waren, sie hatten es nur sehr eilig.«
    »Und was ist eine Sozialkarte?«, wollte Lion wissen.
    »Das ist... Na, so etwas wie eine Kreditkarte, nur dass dort die Rationen für die Lebenserhaltung aufgezeichnet sind. Du hast doch auf einer Station gewohnt, gab es so etwas bei euch nicht?«
    »Nein, bei uns waren Luft und Wärme kostenlos«, erwiderte Lion mit schlechtem Gewissen. »Los, erzähl weiter!«
    »Tja... Dieser Junge versteckte also die Sozialkarte im Schrank und fing an im Internet zu surfen. Er kam auf eine Seite mit dem Hinweis: ›Zugang nur für Erwachsene, Zugang für Kinder verboten.‹ Er gab selbstverständlich ein: ›Ich bin ein Erwachsener.‹ Daraufhin wurde ihm erwidert: ›Bitte die Nummer der Sozialkarte eingeben!‹ Er dachte sich nichts dabei und gab die Nummer ein. Tja, und so durfte er allen möglichen Unsinn anschauen... Er saß also am Laptop und hatte alles um sich herum vergessen. Plötzlich klingelte es. Er ging zur Tür, machte auf und sah eine Mitarbeiterin des Sozialdienstes. Die sagte: ›Junge, du atmest zu oft!‹ Der Junge erschrak und versprach, seltener zu atmen. Aber sie nahm ein Pflaster...«
    Lion begann zu lachen.
    »Was für ein Quatsch! Wenn du seltener atmest, verändert sich die Menge des verbrauchten Sauerstoffes nicht.«
    Ich schwieg. Für ihn war die Geschichte wahrscheinlich wirklich nicht zu verstehen.
    »Sei nicht beleidigt.« Lion knuffte mich mit dem Ellenbogen in die Seite. »Hör zu! Das ist jetzt eine ähnliche Geschichte, aber viel besser: Ein Junge hatte eine ältere Schwester. Sie durfte auf der Schattenseite spazieren gehen, bekam sogar einen neuen, roten Raumanzug geschenkt, den Jungen aber ließ man nicht. Sein Raumanzug war ganz einfach, einer für Kinder.«
    »Wo durften sie spazieren gehen?«
    »Auf der Schattenseite, dem äußeren Korpus der Station, auf der Unterseite. Dort gab es weder Gravitation noch Luft.«
    »Aha«, sagte ich und stellte mir mit einigem Befremden einen derartigen Spaziergang vor. Was ist denn daran so reizvoll?
    »Der Junge bat seine Schwester ständig, ihn mitzunehmen. Die Schwester jedoch antwortete: ›Nein, das geht nicht, du bist noch klein, du vergisst, die Sauerstoffpatrone zu überprüfen.‹ Die Sauerstoffpatrone ist übrigens zum Atmen, ein Regenerator im Raumanzug.«
    Lion schüttelte energisch den Stoffsack – unseren hiesigen Regenerator. Er fuhr fort: »Hier ist es irgendwie stickig... Also, der Junge war natürlich beleidigt und setzte eines Tages an Stelle einer vollen – eine leere Patrone in den roten

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