Das Schloß der blauen Vögel
entmündigen?«
»Bis zur Klärung aller Vorfälle muß das Ministerium darauf bestehen, daß, wenn die Klinik im Interesse der schwererkrankten Patienten weitergeführt wird, eine Ärztekommission die Leitung übernimmt.« Der Oberministerialrat zog nervös an seiner Krawatte. »Es kann auch ein Arzt Ihres Vorschlags sein, Herr Professor, wenn er die fachliche Eignung besitzt und von einem neutralen Ärztegremium genehmigt wird.«
Dorian ließ die wie zur Abwehr erhobenen Hände sinken. Es hat keinen Sinn, sich jetzt dagegen zu wehren, sagte er sich vor. Es hat keinen Sinn. Im Augenblick sind sie stärker als ich. Sie haben die Staatsgewalt hinter sich.
»Bitte«, sagte er mit Bitterkeit in der Stimme. »Sie werden diese Stunde noch einmal bereuen.« Er blickte hinüber zu dem Staatsanwalt, der sich die Stirn mit einem Taschentuch abtupfte. »Verhaftet werde ich nicht?«
»Machen Sie es uns nicht zu schwer, Herr Professor.« Der Staatsanwalt atmete tief. »Wir möchten Ihre Operationsberichte einsehen, die Krankengeschichten, alle Akten …«
»Es steht Ihnen alles zur Verfügung.« Mit einer müden Gebärde umfaßte Dorian seine ganze Klinik. »Suchen Sie sich heraus, was Sie brauchen. Alles andere werden meine Anwälte regeln.« Er sah zu Dr. Hugenbeck, der etwas entgegnen wollte, und winkte ab. »Nein, nein … genau das will ich nicht, was Sie denken: Stillschweigen, kein Aufsehen, Diskretion. Nein! Ich will den Skandal! Ich will die Öffentlichkeit! Ich will das Forum des freien Geistes! Was hier jetzt geschieht, sollen Millionen erfahren! Morgen werde ich eine Pressekonferenz geben, in allen Zeitungen soll es zu lesen sein, von allen Bildschirmen schimmern! Und ich will einen Prozeß, um im Gerichtssaal vor aller Welt beweisen zu können, daß die Menschheit an der letzten Stufe ihrer Entwicklung steht, aber diese durch Kleindenken und Mißgunst einiger Cliquen nicht betreten darf!« Dorian fuhr herum. »Es gibt doch einen Prozeß, Herr Staatsanwalt?«
»Voraussichtlich ja.«
»Und wie wird die Anklage lauten?«
»Fahrlässige Tötung durch einen operativen Eingriff.«
»Ach! Und wen soll ich getötet haben?«
»Gerd Sassner.«
»Aber er lebt doch!«
»Das ist nicht bewiesen.« Der Staatsanwalt bekam ein hartes, kantiges Gesicht. »Sollte es sich aber bewahrheiten, daß er dieser gesuchte wahnsinnige Mörder ist, wird die Staatsanwaltschaft die Rechtslage untersuchen, ob man Sie für diese Morde verantwortlich machen kann. Die Umwandlung Herrn Sassners in diese Bestie erfolgte, das dürfen wir als bewiesen ansehen, durch Ihre Operation. Wir haben dafür zehn von Ihnen selbst eingeladene Zeugen, deren Fachwissen Sie ja nicht anzweifeln werden.«
Dorian schwieg. Der Kreis war geschlossen. Seine Gegner konnten triumphieren. Aber er gab nicht auf. Er erweckte nur den Anschein, als sei er geschlagen. Er wollte auf sein Forum warten, auf die Aufmerksamkeit der ganzen Welt.
Dr. Hugenbeck sprach es aus, als man ohne Dorian, der im ›Tierhaus‹ zurückblieb, langsam zurück zur Klinik ging.
»Er ist ein alter, kluger Löwe«, sagte er. »Wir haben ihm einen Pfeil ins Fell geschossen, und nun stellt er sich tot. Aber er lebt, kräftig wie eh und je. Ich glaube, meine Herren, dieser Fall wird uns noch eine Menge Kopfschmerzen bescheren …«
Am späten Abend kam Angela verstört in die Wohnung Dr. Kellers.
»Ist es wahr, was alle erzählen?« rief sie und blieb mit geballten Fäusten stehen.
»Ja!« sagte Dr. Keller müde.
»Sie haben Vater das Arbeiten verboten?«
»Ja.«
»Sie wollen ihn anzeigen?«
»Ja.«
»Sie wollen die Klinik schließen?«
»Ja!«
»Ja! Ja! Mehr kannst du nicht sagen? Ich war bei Vater. Er hat sich eingeschlossen, bei seinen Tieren. Er macht nicht auf. Ich habe gerufen und gebettelt. Man muß ihm doch helfen! Alle sitzt ihr nur herum und laßt die Köpfe hängen! Warum rufst du nicht Papas Rechtsanwälte an?«
»Es ist alles schon geschehen.« Dr. Keller wischte sich über die Augen. Sie brannten vor Übermüdung. »Die Schriftsätze werden schon diktiert. Morgen ist eine Pressekonferenz. Funk und Fernsehen kommen.«
»Das ändert aber nichts daran, daß man Vater wie einen Verbrecher behandelt. Daß er nicht mehr seine Kranken behandeln kann!«
»Nein. Die Leitung der Klinik hat ein anderer übernommen.«
»Ein anderer? Vaters Lebenswerk? Wer ist es?«
»Ich … O …«
Einen Augenblick stand Angela starr. Dann nahm sie den ersten besten Gegenstand, der in der
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