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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Luise dumpf wie eine aufgezogene Puppe. »So wird es gewesen sein … ja … ja …«
    »Wir werden gleich den See absuchen.« Der Förster sah auf die Wanduhr. »Meine Leute und zehn Waldarbeiter müssen jetzt schon mit den Kähnen auf dem Wasser sein.« Er schwieg abrupt, weil er sah, daß Luise gar nicht mehr aufnahm, was um sie herum gesprochen wurde. Sie hatte den Mantel und den Hut an sich gedrückt und ging mit steifen, hölzernen Schritten aus dem Zimmer. Im Hinterzimmer, wo Dorle und Andreas warteten, legte sie die Sachen auf den Tisch.
    »Paps' Mantel!« rief Andreas sofort. »Ich sag's ja, er hat sich verlaufen. Wo ist Paps jetzt?«
    »Vater ist tot«, sagte Luise langsam. »Wir sehen Paps nie wieder. Das ist das einzige, was er zurückgelassen hat.« Sie sank auf einem Stuhl zusammen, wühlte den Kopf in den Mantel und schrie gegen den nassen, nach Erde riechenden Stoff. »Gerd! Gerd! Gerd!«
    Dann saß sie still, mit geschlossenen Augen, als warte sie darauf, vom Schmerz aufgelöst zu werden.
    Sieben Kähne suchten den kleinen, dunklen See bis zum Einbruch der Nacht ab. Auch dann noch, beim lodernden Fackelschein, gab man nicht auf, sondern montierte starke Scheinwerfer mit Batterien an zwei Boote und leuchtete in die Tiefe des Wassers. Man fuhr vor allem am südlichen Ufer hin und her, denn die Bauern wußten genau, wie die Unterströmung verlief und wo eine Leiche wieder vom See freigegeben wurde.
    Es war nicht das erstemal, daß jemand auf den Gedanken gekommen war, sich hier das Leben zu nehmen. Die Chronik von Wilsach berichtete von neun Toten im Laufe der letzten zweihundert Jahre, denn so lange führte der jeweilige Lehrer von Wilsach peinlich genau Buch über alles, was in dem kleinen Flecken inmitten der Wälder stattfand. Da waren Brände verzeichnet, ein Mord, eine Kindesaussetzung, eine Blitzkatastrophe, ein Bergrutsch und ein Erdbeben. Ein Liebespaar hatte sich im Wald erhängt, die Jungfrau Erna war 1859 auf der Waldstiege vergewaltigt worden. 1945 versteckten deutsche Soldaten zwei Flakgeschütze im Wald, einschließlich 100 Schuß Munition. Das brachte Wilsach neun Wochen lang in den Verdacht, ein Werwolfnest zu sein. Ein französischer Major residierte im Forsthaus und verhörte jeden Wilsacher Bürger, bis man wirklich glaubte, daß die Kanonen nur vergessen worden waren.
    Nun wurde die Chronik um einen Fall reicher. Ein Mann ertrinkt im See. Unfall oder Selbstmord? Wer kann das sagen?
    Gegen Mitternacht brach man die Suche nach Gerd Sassner ab. Es hatte keinen Sinn mehr. Meistens kamen die Leichen nach drei Tagen erst hoch, aufgetrieben von den inneren Gasen. Dann spülte sie die Strömung zum Südufer, wo sie im Gestrüpp hängenblieben.
    Am nächsten Morgen traf Professor Dorian ein. Angela begleitete ihn. Sofort nach dem Anruf aus Wilsach waren sie losgefahren, die ganze Nacht hindurch.
    »Frau Sassner ist auf ihrem Zimmer«, sagte der Förster nach der kurzen Begrüßung. Dorian sah bleich und etwas verstört aus. »Sie hat nicht geschlafen. Die ganze Nacht brannte das Licht.«
    Gegen Morgen hatte es zu regnen begonnen. Der Wind schlug die Nässe gegen die Scheiben und Wände, der Hochwald rauschte, es war ein dumpfes Brausen über dem ganzen Land.
    Dorian traf Luise im Sessel an. Dort hatte sie die ganze Nacht gesessen und hinausgestarrt in die Dunkelheit. Ihr bleiches Gesicht war von einer schrecklichen Starrheit.
    »Es ist unerklärlich«, sagte Dorian und setzte sich neben Luise. Er nahm ihre eiskalten Hände und erschrak sichtlich. Daß diese Frau noch atmet, dachte er. Daß ihre Augen noch sehen … wer sie anfaßt, berührt die Kälte einer Toten. »Ausrutschen und ertrinken. An alles hätte ich gedacht … aber nicht an diese Teufelei des Schicksals.«
    »Sie glauben auch, daß es ein Unfall war?«
    Sie spricht. Dorian fuhr zusammen. Eine Stimme wie aus einer anderen Welt. Hoch und gleichbleibend im Klang.
    »Was sollte es sonst sein?«
    »Warum hat er dann seine Toilettensachen mitgenommen?«
    Dorian zuckte hoch. Ein heißer Stich traf sein Herz. »Was hat er?«
    »Alles mitgenommen. Rasierapparat, Seife, Handtuch … Einfach in die Taschen gestopft … Es fehlt kein Koffer, keine Tasche. Er … er wollte weg. Weg von uns … von mir, den Kindern …«
    Dorian kroch in sich zusammen. Das Hirn, das kupierte, umgekoppelte Hirn. Was war in ihm vorgegangen? Was war mit Sassner in der vergangenen Nacht geschehen? Gab es doch einen Fehler bei der Operation? Brach das Gehirn aus

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