Das Schloss der tausend Sünden
Instinkt sagte Belinda gleichzeitig, dass es eine gute Reproduktion war.
«Kein Wunder, dass er sie vemisst», sagte Jonathan und legte von hinten die Arme um ihre Taille. «Wenn sie so ausgesehen hat wie du, muss sie wirklich sehr schön gewesen sein.»
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. «Danke, Johnny.»
«Ist mir ein Vergnügen.» Er lächelte etwas schüchtern. «Es ist die reine Wahrheit.»
Sie legte ihre Hände über die seinen. «Ich habe Angst.»
«Ich weiß.» Sein Lächeln verzog sich etwas.
«Aber ich kann jetzt nicht mehr zurück. Vielleicht findet er nie wieder jemanden, der ihm helfen kann. Das verstehst du doch, oder?»
«Ja. Ja, das verstehe ich. Und ich will auch, dass du ihm hilfst … ihnen. Wenn es irgendwas gäbe, was ich tun könnte, würde ich mich auch darauf einlassen. Ich wünschte nur, es wäre nicht so gefährlich für dich.»
Belinda wollte ihn gerade beruhigen – ihn also anlügen –, doch genau in diesem Moment war ein lautes Klopfen an der Tür zu hören. Noch bevor Belinda reagieren konnte, rauschte Michiko mit besorgtem Gesichtsausdruck in das Zimmer. Sie trug etwas, das wie ein opulenter, feierlicher Kimono aussah, den sie aus Zeitmangel nicht mehrkorrekt hatte anlegen können. Unten schauten weiße Zehensocken hervor. Ihr elegantes orientalisches Gesicht war schneeweiß geschminkt, die Lippen waren dunkelrot angemalt und die Augen mit schwarzer Kohle umrandet.
«Sie kommt», rief sie laut und rannte mit leisen Schritten auf sie zu. «Wir müssen uns vorbereiten! Und Jonathan, du musst uns auch helfen!»
«Was soll das heißen?», fragte Belinda und spürte, wie die Hände ihres Freundes sich von ihr lösten. «Wer kommt? Was ist denn los?»
Die Japanerin nahm beide bei der Hand und drückte sie fest. Ihre Augen sahen in dem weißgeschminkten Gesicht wie Obsidiane aus. «Isidora ist auf dem Weg hierher. Ich habe sie gespürt, und es könnte gut sein, dass sie noch in dieser Stunde hier eintrifft.»
«Können wir nicht einfach die Tore schließen? Oder vielleicht die Türen verrammeln?», schlug Jonathan vor. «Was ist denn mit Oren? Kann er sie nicht aufhalten? Stark genug ist er doch.»
«Auch der arme Oren ist machtlos gegen ihre geheimen Kräfte», erklärte Michiko. «Er würde zwar sicher sein Leben geben, um André zu beschützen, aber das wäre sinnlos. Isidora würde sich schon irgendwie gegen ihn zur Wehr setzen.» Sie drückte Belindas Hand erneut, ließ sie dann los und nahm Jonathan bei beiden Händen. «Dich andererseits kann ich beschützen. Du musst sie ablenken, während wir das Ritual vollziehen.»
«Wieso sollte sie sich überhaupt mit mir aufhalten?», fragte Jonathan. Belinda sah nicht nur Zweifel in seinem Gesicht, sondern auch echte Angst. Er glaubte jetzt ganz und gar an das Übernatürliche.
«Weil sie in Verkleidung kommt. Ich konnte unbemerkt einen kurzen Blick in ihren Geist werfen», erklärte Michikokonzentriert. «Sie wendet eine List an, mit der sie sich André nähern kann, ohne dass jemand merkt, dass sie hier ist. Sie weiß, dass ihr neues Gesicht im Kloster willkommen ist, denn sie hat eine Einladung.»
Belinda erinnerte sich sofort an das Telefonat von gestern. «Paula!»
«Ist das eure Freundin?»
«Ja», antwortete Jonathan, während Belinda schlagartig klar wurde, dass sie ein Schlupfloch für Andrés schlimmsten Feind geschaffen hatten. «Aber was hat sie dann mit unserer echten Paula gemacht?» Jonathan war äußerst besorgt.
«Sie hat sie eine Weile in das Land des Schlafes geschickt», erwiderte Michiko und runzelte ihre feinen Augenbrauen. «Glaube ich zumindest. Ich habe jedenfalls nichts gespürt, was auf ernsthafte Verletzungen hindeutet.»
«Großer Gott», flüsterte Belinda atemlos und wurde sich erst jetzt bewusst, dass sie offensichtlich längere Zeit den Atem angehalten hatte.
«Aber was kann ich denn tun?», fragte Jonathan. «Ich habe keine speziellen Kräfte.»
«Du besitzt männlichen Charme», erklärte Michiko. «Isidora bereitet nichts größere Befriedigung, als einer Frau den Mann wegzunehmen. Da kann sie einfach nicht widerstehen.»
«Woher soll sie denn wissen, wie Belinda und ich zueinander stehen?» Jonathan blickte auf seine Hände, die Michiko immer noch festhielt.
«Sie kann zwar keine Gedanken lesen», sagte die Japanerin und ließ seine Hände mit einem ermutigenden Schütteln los, «aber sie ist eine Expertin darin, anderen Menschen mehr Informationen zu entlocken, als sie
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