Das Schloss der tausend Sünden
von Kissen. Schon der Anblick ließ Belindas Lenden zucken – hier würde sie sich mit André vereinen.
Zunächst sah sie nichts von ihrem magischen Liebhaber. Erst nach einer Weile merkte sie, dass er genau in der Kirchenbank saß, wo Michiko gestern vor der Bestrafung gesessen hatte. Der Graf trug einen langen Umhang aus schimmernder Seide, der mit Silbersternen bestickt war. Er hielt den Kopf gebeugt, als befände er sich mitten in einem stillen Gebet. Auf seinem Schoß ruhte eine kleine Schatulle aus Rosenholz – Belinda hatte sie bereits im Turmzimmer gesehen –, die zu leuchten schien, als er mit dem Finger darüberfuhr. Der Graf schaute langsam auf, nachdem Michiko ihn beim Namen gerufen hatte, doch seine Hand blieb besitzergreifend auf der Schatulle mit den verschlungenen Schnitzereien liegen.
«Es wird Zeit», erklärte die Japanerin mit sanfter Stimme und ging auf ihn zu. «Wir müssen es jetzt tun, bevor Isidora bemerkt, was wir vorhaben.»
André erhob sich, das Behältnis immer noch in der Hand, und ging voller Bereitschaft auf Belinda zu. Doch als sich ihre Blicke trafen, spiegelte sich darin seine eigene Angst.
Jonathan zitterte, als Isidora ihren kühlen Arm um ihn legte. Diese Begegnung war das Angsteinflößendste, was er je erlebt hatte. Doch zu seinem eigenen Erstaunen erregte die Gefahr ihn ganz offenbar.
Da Michiko ihn mit einem ihrer Zaubersprüche belegt hatte, meinte er Dinge zu sehen. Jonathan hatte eindeutig Paulas vertrautes Gesicht vor sich und konnte einige Zeit auch nichts Ungewöhnliches darin entdecken. Die Gesichtszügesahen aus wie immer. Hübsch, aber für ihn nicht besonders anziehend. Sie war eben einfach nur eine Freundin. Doch zwischendurch schien die Realität sich immer wieder zu verschieben, und er sah ein Doppelbild. Paula war zwar immer noch da, doch hinter ihrem Gesicht konnte er die Gegenwart von etwas spüren, was zutiefst bedrohlich wirkte. Ein Gesicht, das zwar bei weitem schöner, gleichzeitig aber hart und grausam wie eine Schamanenmaske wirkte. Er sah das Gesicht einer Frau, die übermenschliche Verführungskünste besaß und die Jonathan sofort instinktiv verabscheute. Sein Schwanz aber brannte wie Feuer.
«Ständig hält sie sich in seiner Gegenwart auf und wirft sich ihm bei jeder Gelegenheit an den Hals», sagte er und versuchte seine Stimme dabei möglichst erschüttert und enttäuscht klingen zu lassen. «Als ich gestern versuchte, mit ihr zu schlafen, wollte sie nichts davon wissen.»
Natürlich stimmte einiges davon tatsächlich, dachte der junge Mann trocken, als ein sorgfältig einstudierter Mitleidsblick auf dem Gesicht seiner Begleitung auftauchte. Belinda war zwar wirklich mit André zusammen gewesen – er selbst allerdings auch. Dasselbe bei Feltris und Elisa. Der Unterschied bestand darin, dass Belindas diverse Vereinigungen freiwillig geschehen waren. Eigentlich hatte Jonathan nichts gegen Belindas Affäre mit André. Doch nun musste er so tun, als ob die Verbindung der beiden ihm entsetzlich wehtat.
«Dieses Miststück», schimpfte er und sah hinab auf seine geballten Fäuste. Isidoras Griff wurde fester. «Wie konnte sie mir das nur antun?»
«Ich weiß es auch nicht», erwiderte sie, strich erst über seine Hand, dann den Arm und schließlich auch über seinen Schenkel. «Ich habe wirklich keine Ah …» Sie hielt inne, und Jonathan spürte, wie ihre Finger sich mit größerwerdendem Druck seinem Schritt näherten. «Obwohl ich mir manchmal – ich betone manchmal – schon so meine Gedanken über Belinda gemacht habe. Sie ist ein bisschen wankelmütig und denkt nicht immer richtig nach. Außerdem …» Isidora pausierte erneut. Ihr Gesicht war jetzt nur noch Zentimeter von dem seinen entfernt, und der Duft ihres Parfüms wurde immer schwerer und betäubender. «Ich habe es dir noch nie erzählt, aber selbst ich habe sie schon mit anderen Männern gesehen.»
«Das Miststück!», wiederholte Jonathan voll unverhohlener Ablehnung, so als wären ihm tatsächlich Hörner aufgesetzt worden.
«Reg dich nicht so auf, Jonathan», erklang ihre samtene Stimme in seinem Ohr. «Du bist doch ein attraktiver Mann. Intelligent. Du musst dir das nicht gefallen lassen. Du kannst doch jede Frau haben, die du willst.»
Als sie ihm einen zarten, kaum spürbaren Kuss auf den Hals gab, musste Jonathan sich schon sehr anstrengen, um einen Sinn für die Realität zu bewahren. Dieses Wesen war der Feind, die seinen neuen Freund – seinen
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